Christoph Dill Aug 15, 2022 7:03:00 AM Lesezeit 5 Minuten

Warum entstehen Produktpräferenzen?

Objektiv betrachtet ist die Sache eigentlich klar: wir kaufen Produkte, entscheiden uns für Dienstleister und Services (egal ob für uns privat oder auch im BTB), weil wir den Bedarf danach haben. Die Lösung mit den besten Preis-Leistungsverhältnis gewinnt. Fertig. Aber irgendwie stimmt das mit unserer erlebten Welt nicht überein.

Viele Dinge, die wir kaufen sind objektiv betrachtet gar nicht so nützlich. Und andere Dinge, die objektiv betrachtet genau die richtige Lösung wären, schaffen es nicht von uns geliebt zu werden. Konsequenterweise stehen diese Produkte bei der Kaufentscheidung nicht in der vordersten Reihe.

Ganz besonders spannend finde ich Produkte, die es geschafft haben, Teil unserer Persönlichkeit zu werden:

Zeig mir dein Smartphone und ich sage wer du bist!

Auch der Blick auf das Auto scheint viel über die Persönlichkeit zu verraten. Diese Produkte und Marken haben es offensichtlich geschafft sich mit einem Lebensgefühl, unserer Persönlichkeit oder dem sozialen Status in Verbindung zu bringen. Spannend finde ich, wie diese Hersteller es schaffen, die Customer Journey weit vor dem Kauf, oftmals sogar vor dem Erscheinen des Produktes auszudehnen. Mit viel Energie wird quasi die PreSales-Phase emotional aufgeladen:

Es gibt Plattformen, die über die neuen Produkte und was sie wohl künftig beinhalten werden, philosophieren, Erlenkönige der großen Marken fahren so offensichtlich über unsere Straßen, dass die Medien darüber berichten oder es werden zufälligerweise neue Smartphones in einer Kneipe gefunden in der Entwickler des Herstellers oft ein und ausgehen…
Alles genau choreografierte Aktionen, die eine positive Anspannung bei der Zielgruppe erreichen sollen.

Diametral am anderen Ende positionieren sich Leistungen, die wir zwar benötigen oder nutzen könnten, sich aber schwertun in unsere Herzen zu gelangen:

Wer hat sich schon einmal auf eine neue Autoversicherung gefreut? Oder wer beschäftigt sich gerne und ausführlich damit, welche Hausratsversicherung denn passend wäre? Auch Tarife für Strom, Telefon oder vom Gasversorger sind keine Themen, mit denen wir eine positive Emotion verbinden. Wir brauchen es. Einmal im Jahr kommt die Rechnung oder die Verbrauchsabrechnung - wir ärgern uns über die Höhe, bezahlen und vergessen es wieder. Auch der Einkauf in der Apotheke ist selten mit einer positiven Verspannung verbunden. Wir brauchen es, weil wir (wissen oder glauben), dass sie uns guttun. Wir kaufen es, oftmals sogar, ohne den Preis zu beachten. Auch ein spannender Punkt.

Mein Verdacht ist, dass eine ganz einfache und direkte Belohnungsmechanik dahintersteht: Je mehr die Kaufentscheidung mit schnellen, positiven Emotionen verbunden ist, desto größer unsere Zuneigung zu diesem Produkt.

Je größer die Hürden oder wenn der Zugang zu einer Leistung mit Aufwand oder sogar Entbehrung verbunden ist, desto geringer mein Kaufwille. Verzicht, Entbehrung, Aufwand und Mühe sind Konsumkiller.

Frei nach dem Motto: „Das ist mir heute zu viel - vielleicht morgen.“

Auch die so oft geforderten Innovationen können abschreckend wirken: Will ich das Produkt wirklich? Wie lange brauche ich, bis ich das Ding richtig kapiere? Nein, nein - meine bestehende Lösung ist gut genug.

Ich möchte an dieser Stelle zwei Dinge beleuchten:

  1. Was geht bei uns bei der Entscheidung für eine neue Lösung, ein neues Produkt im Kopf vor? Was macht den Punkt des „Ringens um Fortschritt“ aus?
  2. Ist der Verlauf der Emotion des Kunden in der Customer Journey durch gutes Produkt- und Leistungsdesign gestaltbar? Und wie wirkt sich das auf das Kaufentscheidungsverhalten aus?

Ringen um Fortschritt

Die Grundthese an dieser Stelle ist, dass es keine Situation gibt, für die es nicht bereits eine Lösung gibt. Nur ist diese vielleicht nicht so gut - beziehungsweise stellt mich als Kunden nicht zufrieden. Darum kaufen wir nur dann neue Dinge, entscheiden uns für andere Lösungen oder suchen nach besseren Dienstleistern, wenn wir mit dem Status Quo nicht zufrieden sind.

Wichtig dabei ist zu beachten, dass diese Lösung nicht unbedingt im Produkt selbst liegen muss. Auch der Kauf allein kann die Lösung für ein Problem sein. Sicher ein Grund, warum viele Produkte gekauft werden, die nach dem Kauf bereits ein Großteil ihres Wertes verloren haben.

Auf der anderen Seite sind wir als Kaufentscheider nicht immer bereit für eine neue Lösung. Immer dann, wenn wir in einer Haltung von: „Alles okay“ sind, werden wir niemals auf eine neue Lösung zu gehen, auch wenn diese Objektiv nützlich für uns sein könnte.

Im Prinzip sind es Kräfte mit zwei gegensätzlichen Richtungen, die an uns ziehen, wenn wir am Entscheidungspunkt für neue Lösungen sind: Drei davon treiben uns in Richtung neue Lösung, drei davon halten uns zurück. Je nachdem wie die Bilanz ausgeht, entscheiden wir uns für oder gegen eine neue Lösung.

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Abb. 1: Wheel of Progress, Quelle: Eigene Darstellung nach Manuel Immler.

Kennen wir diese Kräfte, die bei unseren Zielgruppen bzw. unseren Kunden wirken, können wir diese in das Design unsere Leistung einbeziehen. In unserem Methodenbeiträgen zum Wheel of Progress und Jobs to be done finden Sie eine Hilfestellung, wie Sie hier Einblicke in die Entscheidungsprozesse ihrer Kunden bekommen.

Jobs to be done CTA Banner

Die Customer Emotionmap

Ein zweiter wichtiger Punkt ist, die emotionale Kurve beim Kauf zu berücksichtigen. Alle neueren Geschäftsmodelle gehen einen Weg, bei dem ich sehr schnell und günstig eine neue Lösung testen kann, ohne große Hürden nehmen zu müssen.

Free Minimum und Pay per Use heißen die Zauberworte. Es geht dabei darum allen potentiellen Kunden mit wenig Aufwand/ Kosten (auch keine Verpflichtung in Form eines Laufzeitvertrages) den Nutzen des Produktes schmackhaft zu machen. Ist er dann davon überzeugt wird er früher oder später gerne und ohne Diskussion für mehr Leistung entsprechend bezahlen.

Ist dieser Einstieg in eine neue Produktwelt teuer, anstrengend, entbehrlich oder schmerzhaft werden viele Kunden diesen Weg einfach nicht gehen. Selbst wenn am Ende ein großer Nutzen dabei herausspringt, sind 90 % der Konsumenten anders gestrickt. Dies wird zum Beispiel in der Diskussion um den Umgang mit der Klimakrise oder nachhaltig produzierten Produkten deutlich. Ist der Aufwand für mich heute höher, sinkt meine emotionale Bereitschaft zur Investition, auch wenn mittelfristig die Gesamtbilanz positiv ist.

Sieht man sich die Emotionmap für das Carsharing an, erkennt man sofort, wie lange es dauert, bis eine positive Haltung entsteht. Eine echte Durststrecke für den Kunden.


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Abb. 2: Customer Journey Map, Quelle: https://uploads-ssl.webflow.com/581a595016381d3a04f028a3/588fede6205357da4b2e6507_Screen%20Shot%202017-01-30%20at%207.49.42%20PM.png

Schaut man z.B. sich im Vergleich die Reise eines iPhone Kunden (oder vielleicht Jünger?!) an, der von den ersten „Rumors“ bis zum sprichwörtlichen Übernachten vor dem Laden, um einer der ersten Kunden zu sein, kommt man auf einen ganz anderen Verlauf!

Genau in dem Design des Verlaufs liegt die Kunst. Dafür gibt es natürlich keine Blaupause- sie muss zu den Kunden, zum Produkt/ der Leistung, der Markenbotschaft und zum Zeitpunkt passen. Sicher ist aber: Sie ist gestaltbar, wir müssen es nur aktiv in die Hand nehmen.