Eigentlich jede und jeder von uns können von unangenehmen bis beschämenden Feedback-Erfahrungen aus der Schule berichten. Der Gedanke, unvorbereitet an die Tafel gerufen zu werden, löst bei so manchem noch heute schlimme Erinnerungen aus. Dieses Gefühl, sich vor der gesamten Klasse zu blamieren, ist bis heute beschämend.
Weil sich diese emotionalen Erlebnisse oft tief in unser Unterbewusstsein eingebrannt haben, beeinflussen sie bis heute auch unsere Fehlerkultur als Erwachsene. Negative Erfahrungen mit Feedback stecken in uns allen, weil wir wertschätzendes Feedback in dieser prägenden Zeit zu wenig kennengelernt haben. Genau deshalb kommen solche Erfahrungen hoch, wenn wir uns in Feedback-Situationen befinden.
Hinzu kommt, dass in unserer leistungsorientierten Gesellschaft und Arbeitskultur der Selbstwert bei sehr vielen Menschen sehr stark an Leistung gekoppelt ist. Es fällt uns deshalb schwer, diesen separat zu betrachten. Auch da fehlen uns Referenzerlebnisse, weil wir nicht selten auch in unseren Elternhäusern „für etwas, was wir getan = geleistet haben“ gelobt wurden und wenig „einfach so“, weil wir waren, wie wir waren. Das hat nun leider bei vielen Menschen zur Folge, dass sie sich schnell als ganze Person in Frage gestellt sehen, selbst dann, wenn die Kritik sich nur auf Verhaltens- oder Ergebnis-Aspekte bezieht. Und so erwarten viele etwas Schlimmes, wenn Feedback angekündigt wird.
Natürlich! Und die gute Nachricht ist, wir können auch als Erwachsene noch lernen, Feedback-Situationen anders zu bewerten.
In unseren Trainings führen wir oft die Übung „Lob hinter dem Rücken“ durch, die für viele Menschen Augen öffnend ist. Und die geht so: Ein*e Teilnehmer*in sitzt auf einem Stuhl, die Gruppe sitzt dahinter. Das fühlt sich schon beim Lesen erstmal unangenehm an, oder? In der Regel setzen sich die Teilnehmenden sehr widerwillig auf den Stuhl, weil das Reden hinter dem Rücken ja extrem negativ konnotiert ist. Nun aber passiert das Unerwartete: Alle anderen aus der Gruppe sprechen nur positiv über die Person auf dem Stuhl. Sie heben hervor, was die Person besonders gut kann, was sie zu einem wertvollen Mitglied der Gruppe macht und was sie an ihr besonders mögen. Eine richtige warme Dusche!
Wie gut sich das anfühlt! Die meisten Teilnehmer*innen hüpfen danach freudestrahlend und groß vom Stuhl, manchmal sogar mit Tränen in den Augen. Diese eigentlich sehr einfache Übung zeigt, dass ein Reframing einer sehr unguten Situation möglich ist, dass es möglich ist, die (Feedback-)Situation für die Teilnehmenden emotional zu verändern.
Wenn ich als Führungskraft für meine Mitarbeiter*innen einen sicheren Raum für Feedback schaffen möchte, sind klare Feedback-Regeln eine sehr sinnvolle Methode, die die Basis dafür legt, das beschriebene unangenehme Gefühl zu verändern.
Feedback-Regeln allein reichen aber nicht aus, wenn es nicht gelingt, eine sichere Dialog-Situation zu schaffen. Was muss ich als Führungskraft bereitstellen, damit mein Feedback die Chance hat anzukommen?
Wenn wir Feedback als stimmigen Rahmen für eine dialogische Rückmeldung verstehen, können wir es von der Leistungsüberprüfung entkoppeln. Wenn wir begreifen, dass der eigentliche Zweck des Feedbacks Weiterentwicklung ist, verliert die nächste Feedback-Runde ihren Schrecken.
Damit Feedback oder Kritik lern- und entwicklungsfördernd wirken können, braucht es zum einen den Dialog und zum anderen viel aktives Zuhören, durch das ich als Führungskraft einen Entwicklungsraum aufmache und meinem Team die Möglichkeit gebe zu wachsen. Wenn das regelmäßig und konsequent umgesetzt wird, entsteht dieser als sicher empfundene Raum.
So lerne ich als Führungskraft und auch mein Team, die innere Trennung zu schaffen, dass die Bewertung der Leistung unabhängig ist von mir als Person. Je reifer ich in meiner Persönlichkeit bin, desto besser kann ich Feedback annehmen, weil der Selbstwert von der Bewertung anderer unabhängig ist. Je weiter meine Reife-Entwicklung fortgeschritten ist, desto autonomer fühle ich mich und desto besser kann ich Feedback anderer annehmen und reflektieren.
Nicht nur als Kind, sondern auch im Erwachsenenalter entwickeln wir uns weiter, können unsere Denkweisen verändern, die uns mehr Freiheit, mehr Flexibilität und mehr Handlungsoptionen geben. Das Ich-Entwicklungs-Modell nach Dr. Thomas Binder definiert diese Entwicklung in Stufen. Auf den verschiedenen Stufen erweitert sich auch die Haltung in Bezug auf Feedback und wie wir es annehmen können.
80 % der Erwachsenen durchleben die Stufen 4-6 auf der konventionellen Ebene (s. Abbildung). Diese schauen wir uns nun genauer an.
Hier orientiert sich das Individuum stark an der Gruppe und identifiziert sich mit dieser. Jede/r kennt das, z.B. von Pubertierenden. Im Erwachsenenalter findet eine solche Identifizierung z.B. mit dem Fußball-Club statt. Auch die meisten Azubis befinden sich auf dieser Reife-Stufe. Status und Gesichtsverlust spielen für Menschen auf der gemeinschaftsbestimmten Stufe eine große Rolle, wenn sie in Feedback-Situationen kommen. Sie fühlen sich leicht vorgeführt, weil sie aus dem Schutz der Gruppe herausfallen. Daher vermeiden sie Feedback eher.
Die Führungskraft muss also hier besonders gut in Beziehung gehen und dem Gegenüber vermitteln, dass es sicher ist: „Egal welche Fehler du gemacht hast, dir wird hier nichts passieren.“ Vorsichtige Nachfragen im 4-Augen-Gespräch sind dafür ein guter Weg. Eine andere Möglichkeit ist es, die eigene Herangehensweise beim gemeinsamen Arbeiten zu zeigen und ein gutes Vorbild zu sein, statt die Arbeitsweise des Mitarbeitenden zu kritisieren.
Auf dieser Stufe befinden sich die meisten Menschen ab einem Alter von etwa 25 Jahren. Sie sind sehr zielorientiert, hinterfragen diese Ziele aber kaum, sondern suchen nach Wegen, wie sie am schnellsten zum gesteckten Ziel gelangen können.
Feedback wird von ihnen angenommen, ist aber keine Selbstverständlichkeit. Sie akzeptieren Feedback am ehesten von Personen, denen sie Expertise unterstellen, zu denen sie aufblicken. Schwierig wird es, wenn Kolleg*innen aus dem Team Feedback geben, dieses können die Personen oft nicht annehmen, sondern neigen dazu, es stattdessen abzuwerten.
Auch im Austausch mit Mitarbeitenden auf der rationalistischen Stufe ist die Führungskraft für einen vertrauten Rahmen verantwortlich. Am einfachsten ist es, in Feedback-Situationen von der fachlichen Seite zu kommen und vieles auf der Sachebene zu besprechen. Im Dialog kann es gut gelingen, das Gegenüber herauszulocken, um detaillierter zu reflektieren und sich auch von der reinen Sachebene wegbewegen zu können.
Menschen auf der eigenbestimmten Stufe begrüßen Feedback als Entwicklungschance, machen selbst Angebote für Feedback und sind sehr selbstreflektiert. Aber nur etwa 30 % der Erwachsenen entwickeln sich in diese Stufe. Sie kennen ihren Selbstwert und pflegen einen selbstkritischen Umgang, ohne Angst, persönlich angegriffen zu werden.
Als Führungskraft erkenne ich eigenbestimmte Mitarbeiter*innen daran, dass sie sich nicht hinter ihrer Rolle und den daran gekoppelten Erwartungen verstecken, sondern selbst Feedback-Angebote machen sowie über sich und ihre Gefühle sprechen.
Wie bei so vielen Dingen gilt auch mit Blick auf Feedback: Übung macht den Meister und die Meisterin! In manchen Grundschulen etablieren die Lehrer*innen eine „Warme Dusche“ von den Mitschüler*innen für das Geburtstagskind als Ritual für die Geburtstagsfeier in der Klasse. Wenn die Kinder so früh lernen, dass Feedback etwas Schönes sein kann, ist das doch wirklich ein Geschenk!
Als Führungskräfte können wir lernen, dass Feedback-Möglichkeiten im eigenen Unternehmen zu institutionalisieren dabei hilft, einen unaufgeregten und selbstverständlichen Umgang mit Feedback zu entwickeln (siehe Ich-Entwicklungs-Modell).
So lernen alle im Unternehmen, detaillierter Feedback zu geben und Feedback leichter anzunehmen. Wenn Sie tiefer in das Thema Ich-Entwicklung eintauchen wollen, dann laden Sie sich unseren Ich-Entwicklungs-Canvas herunter, mit dem Sie praktisch Ihr eigenes Entwicklungsziel fokussieren und Ihre bisherigen Muster analysieren können.