Sprachrohr

Blue-Collar-Prozess

Geschrieben von Magnus Kandler | Dec 18, 2025 11:30:01 PM

Blue-Collar-Prozesse neu gestalten – „Den Goldstaub in Prozessen finden“ 

Geschäftsprozesse sind das Fundament jedes Unternehmens – sie bilden den Fluss von der ersten Kundenanfrage bis zur Zahlung. Dennoch werden sie häufig als unabänderlich hingenommen, historisch gewachsen und nicht hinterfragt. Beim Barcamp „ProExcellence – Blue-Collar-Prozesse neu gestalten" im Rahmen des SHIFT.ED InnoCube von lumanaa stand eine andere Perspektive im Mittelpunkt: Wie gelingt es, in bestehenden Prozessen den „Effizienzgoldstaub" zu finden, ihn systematisch sowie pragmatisch zu heben und Unternehmen damit nachhaltig zu transformieren?  

Anhand von Praxisbeispielen wurde deutlich, dass der Grundsatz „Erst der Prozess, dann Systeme und Organisation" – nicht umgekehrt – zentral ist. Der Workshop brachte operative Experten, Fachspezialisten und Führungskräfte an einen Tisch und zeigte: Prozessexzellenz entsteht nur, wenn die Menschen im Prozess selbst mitgestalten. 

Zentrale Frage 

Wie gelingt es, Prozesse so zu analysieren und zu gestalten, dass versteckte Effizienzpotenziale sichtbar werden, Mitarbeitende diese nutzen und echte, nachhaltige Verbesserungen entstehen – ohne dabei in Detailfallen zu tappen oder Nebenschauplätze zu bearbeiten? 

Herausforderungen und Ausgangslage 

Die zentrale Herausforderung: Viele Unternehmen investieren in neue IT-Systeme und Digitalisierung, ohne ihre Prozesse vorher wirklich zu verstehen und zu optimieren. Das führt dazu, dass Technologie suboptimale Abläufe nur noch schneller ausführt – der Mehrwert bleibt aus. Hinzu kommt, dass Prozessarbeit oft von einzelnen Ingenieuren im stillen Kämmerlein erledigt wird, die anschließend Vorschläge präsentieren. Das Resultat: Widerstand statt Umsetzung.  

Der Schlüssel liegt darin, operative Mitarbeitende in die Prozessanalyse und -optimierung zu integrieren, ihre Ideen und Erfahrungen zu nutzen, um gemeinsam Verbesserungen zu entwickeln – systematisch und pragmatisch. 

Das ProExcellence-Modell 

Der Anfang besteht darin, die wichtigen Kernprozesse zu identifizieren und anschließend Kernprozess um Kernprozess – je nach Aufgabenstellung – im Detail zu analysieren. 

Das Analyseteam setzt sich zusammen aus operativen Mitarbeitenden und aus Führungskräften. Unbedingt sollten bewusst auch kritische Mitarbeitende und eher skeptische Personen einbezogen werden. Warum? Weil diese Menschen die Probleme kennen, weil ihre Perspektiven vielfältig sind und weil sie später bei der Umsetzung unterstützend wirken. Das Team arbeitet mit Brown-Paper, Stiften und Pinnwänden – keine komplexen IT-Tools. So bleibt der Fokus auf dem Prozess, nicht auf der Bedienung von Software. 


Mit Kärtchen werden Prozessschritte notiert (aktiv formuliert, z.B. „Auftrag anlegen"), mit roten Flaggen werden Probleme festgehalten, mit grünen Kärtchen die Lösungsansätze. Die Leitfragen sind simpel: Welche Fehler treten regelmäßig auf? Wo liegen die Zeitfresser? Worüber ärgern sich die Mitarbeitenden jedes Mal? Das Ergebnis ist der gelebte Ist-Prozess – nicht das QM-Handbuch, sondern die Realität. 

Während der Analyse werden bereits schnell umsetzbare Verbesserungen identifiziert und direkt realisiert. Diese Quick Wins schaffen Aufbruchsstimmung und zeigen: Veränderung funktioniert! 

Daran anknüpfend werden neue Prozesse gestaltet. Dabei steht nicht im Vordergrund, wer etwas tut, sondern zunächst nur das „Was“. Erst wenn ein Konsens über das „Was“ vorhanden ist, wird gemeinsam überlegt, durch "Wen" und „Wie“ diese Prozesse ausgeführt werden. Die gemeinsam entwickelten Konzepte werden in die Organisation getragen – präsentiert durch die Experten selbst. Das schafft Authentizität und Eigenverantwortung. Gemeinsam wird verabschiedet, was umgesetzt wird, was erst später realisiert wird und wer sich um was kümmert. 

Diskussion und Erkenntnisse 

Die Barcamp-Diskussion zeigte: Prozessoptimierung ist ein Kulturprozess. Wenn operative Mitarbeitende ihre Prozesse selbst analysieren, ihre Probleme offen besprechen dürfen und ihre Lösungen selbst präsentieren, entstehen Prozesse, die wirklich getragen werden. Ein zentraler Punkt: Es ist nicht böser Wille, wenn Prozesse ineffizient sind – oft wollen Mitarbeiter anderen Gutes tun, haben aber nicht verstanden, was für andere im Unternehmen nutzbringend ist. Die gemeinsame Diskussion im Team klärt das sofort. 

Zentrale Kernaussage 

Der zentrale Punkt: Erst der Prozess, dann Systeme und Organisation. Digitalisierung und neue IT entfalten ihren Nutzen nur, wenn die Prozesse vorher wirklich verstanden, überprüft und optimiert werden. Und dieser Prozess selbst gelingt nur, wenn die operativen Mitarbeitenden als Prozessexperten ernst genommen werden, partizipativ arbeiten und ihre Erkenntnisse selbst präsentieren. Nur dann entstehen nachhaltige, gelebte Verbesserungen. 

Zudem wichtig: Visualisierung mit Packpapier und Kärtchen: Einfach, flexibel, überall einsetzbar. Im Büro, in der Fertigung, direkt vor Ort. Förderung von Kommunikation und Engagement statt Einzelkämpfertum. Das Ergebnis soll unperfekt aussehen. Warum? Weil perfekte Darstellungen die Hemmschwelle für Kritik und Korrekturen erhöhen. Mit wildem, handskizziertem Prozessdesign trauen sich alle, Fragen zu stellen, Fehler zu korrigieren und mitzudenken. So entstehen sinnvolle, nachhaltige, von allen getragene Soll-Prozesse. 

Reflexion und Transfer 

Der „Goldstaub" liegt überall – in den Köpfen, Erfahrungen und täglichen Beobachtungen der Mitarbeitenden. Wer diesen Schatz systematisch hebt und gemeinsam nutzt, schafft nicht nur Effizienz, sondern auch Engagement, Stolz und Mitverantwortung. Das Barcamp machte deutlich: Der Weg zu prozessualer Exzellenz führt über echte Beteiligung, strukturiertes Denken und konsequente Umsetzung.