Sprachrohr

Komplexität, Benutzerfreundlichkeit und die Kunst der Einfachheit

Geschrieben von Manuel Immler | Dec 16, 2023 6:00:00 AM

In einer Welt, die immer digitaler wird und in der Informationen im Überfluss vorhanden sind, stehen Benutzerfreundlichkeit und klares Design im Vordergrund erfolgreicher Produkte. Die Bewältigung von Komplexität ist eine Kunst, die durch Anwenden von Usability- und Benutzerfreundlichkeitsprinzipien realisiert wird.

Bestimmt können Sie sich an ein Tool erinnern, das Sie aus irgendeinem Grund nicht mögen und das Sie schwierig zu bedienen finden, ohne genau sagen zu können, warum. Ebenso kennen Sie wahrscheinlich mindestens ein digitales Werkzeug oder eine App, die Ihnen Freude bereitet. Woran liegt das?

Frust oder Freude mit digitalen Tools. Eigene Darstellung mit Unterstützung einer generativen KI.

Hier erörtern wir exemplarisch, welche Herausforderungen es auf dem Weg zur Usability zu bewältigen gilt und welche Prinzipien dabei helfen können. Dabei befassen wir uns stets mit den begrenzten kognitiven Ressourcen des Menschen und finden Antworten darauf. Damit ist das User Experience Design nicht nur bei digitalen Produkten angesiedelt, sondern lässt sich auf viele andere Bereiche übertragen.

In der Welt der Informationsflut und komplexen Aufgaben stehen wir vor der Herausforderung begrenzter kognitiver Ressourcen. Unser Gehirn, obwohl erstaunlich leistungsfähig, hat natürliche Grenzen in Bezug auf die Arbeitsgedächtniskapazität, die Aufmerksamkeitsspanne und die Verarbeitungsgeschwindigkeit. Die begrenzte Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten, sowie biologische Einschränkungen setzen klare Grenzen für die kognitive Leistungsfähigkeit. Eine übermäßige Menge an Informationen oder zu komplexe Aufgaben können zu kognitiver Überlastung und reduzierter Leistungsfähigkeit führen. Das Ergebnis ist Ermüdung, Verwirrung, Frust oder auch Leichtsinnsfehler.

Diese Erkenntnisse sind entscheidend, wenn es darum geht, Benutzeroberflächen und Informationen zu gestalten. Ein Verständnis für die begrenzten kognitiven Ressourcen ist der Schlüssel zu einer benutzerfreundlichen Gestaltung und einer positiven Benutzererfahrung. Hier setzt Usabilty an, indem es klare Informationsarchitekturen und konsistente Benutzerschnittstellen schafft. Durch diese Maßnahmen wird die kognitive Belastung minimiert und die Benutzer:innen können sich auf die eigentliche Aufgabe konzentrieren.

Gestaltungsansätze

Die Reduzierung der kognitiven Belastung ist das Herzstück einer benutzerzentrierten Designphilosophie. Eine klare visuelle Hierarchie und eine gut strukturierte Informationsarchitektur sind hier von entscheidender Bedeutung. Die visuelle Hierarchie lenkt den Blick des Users und weist auf relevante Informationen hin. Eine sinnvolle Informationsarchitektur ermöglicht eine logische Anordnung von Inhalten, die die Benutzer mühelos verstehen können. Die Informationsarchitektur bezieht sich auf die Organisation und Struktur von Informationen in digitalen Systemen. Ihr Hauptziel ist es, sicherzustellen, dass Nutzer:innen die benötigten Informationen effizient finden können. Dies umfasst die Organisation von Inhalten, die Definition der Struktur und Navigation, die Wahl von Begriffen sowie die Integration effektiver Suchfunktionen. Eine kluge Informationsarchitektur schafft eine benutzerfreundliche Umgebung, die intuitiv zu navigieren ist und relevante Inhalte leicht erfassbar macht. Hier hilft es, sich an mentalen Modellen zu orientieren, welche die User bereits kennen. Ein tolles Beispiel ist die Erfindung des "Personal Computers". Noch über 30 Jahre später legen wir "Dokumente" auf dem "Schreibtisch" und sortieren sie in "Ordner" oder werfen sie in den “Papierkorb”. Das kommt Ihnen sicherlich auch aus dem echten Büro bekannt vor. Hier wurde das mentale Modell des Büros ausgeliehen, um eine geringe Umgewöhnungszeit für die Arbeit mit dem Computer zu erreichen.

Desktopansicht des Macintosh mit OS7 in 1991. Apple Inc.

 

Neben dem mentalen Modell gibt es weitere Prinzipien, die dabei helfen, technische Systeme nutzbar zu machen. Jakob Nielsen hat dazu 10 Heuristiken entwickelt:

  1. Sichtbarkeit des Systemstatus: Nutzer sollten stets wissen, was im System vor sich geht. Klare und sofort erkennbare Anzeichen, wie Fortschrittsbalken oder Statussymbole, helfen, Unsicherheiten zu vermeiden und die Benutzererfahrung zu verbessern.

  2. Übereinstimmung von System und Wirklichkeit: Das System sollte die realen Weltmuster und -konventionen widerspiegeln, um eine intuitive Nutzung zu ermöglichen. Wenn Aktionen und Funktionen im Einklang mit den Erwartungen der Benutzer stehen, wird die Lernkurve reduziert.

  3. Nutzerkontrolle und Freiheit: Benutzer sollten die Freiheit haben, das System zu steuern und leicht zu korrigieren. Klare Ausstiegsmöglichkeiten und Rückgängig-Optionen erhöhen die Zufriedenheit und das Vertrauen der Benutzer.

  4. Beständigkeit und Standards: Konsistente Designs und die Einhaltung von etablierten Standards erleichtern die Benutzung, da Benutzer bereits vertraute Muster wiedererkennen und sich schneller orientieren können.

  5. Fehlervermeidung: Das System sollte so gestaltet sein, dass Fehler vermieden werden, indem es klare Anleitungen und Vorkehrungen bereitstellt, um unbeabsichtigte Aktionen zu verhindern.

  6. Wiedererkennung statt Erinnerung: Anstatt Benutzer sich an Informationen zu erinnern zu lassen, sollten relevante Optionen und Aktionen so gestaltet sein, dass sie leicht wiedererkannt werden. Dies minimiert die Notwendigkeit für Nutzer, sich spezifische Details zu merken.

  7. Flexibilität und Effizienz: Das System sollte sowohl für erfahrene als auch für unerfahrene Benutzer effizient sein. Flexible Interaktionsmöglichkeiten und Tastenkombinationen ermöglichen eine reibungslose Bedienung für verschiedene Benutzerprofile.

  8. Ästhetisches und minimalistisches Design: Ein ästhetisches und minimalistisches Design fördert eine positive Benutzererfahrung. Klare, unaufdringliche Schnittstellen ohne überflüssige Elemente tragen dazu bei, Ablenkungen zu minimieren und die Fokussierung auf wesentliche Funktionen zu erleichtern.

  9. Hilfestellung beim Erkennen, Bewerten und Beheben von Fehlern: Das System sollte Benutzern helfen, Fehler zu erkennen, ihre Auswirkungen zu bewerten und Lösungen zu finden. Klare Anleitungen und Ressourcen zur Fehlerbehebung unterstützen den Benutzer in problematischen Situationen.

  10. Hilfe und Dokumentation: Trotz einer benutzerfreundlichen Gestaltung sollte das System eine klare Hilfe und Dokumentation bereitstellen. Das Angebot von umfassenden Ressourcen erleichtert es Benutzern, sich zu informieren und ihre Ziele effektiv zu erreichen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Es ist einfach, Dinge kompliziert zu machen. Es ist kompliziert, Dinge einfach zu machen
(Quelle: https://ralphammer.com/make-me-think/).

Die Verbesserung der Benutzerfreundlichkeit bedeutet, dass Produkte nicht nur funktional, sondern auch effektiv, effizient und zufriedenstellend für die Nutzenden sind. Hier kommen häufig Usability-Experten zum Einsatz (User Experience (UX) Designer), welche die Interaktion zwischen Benutzern und einem Produkt optimal gestalten. Dabei werden all diese Prinzipien übereinander gelegt, um ein optimales Nutzererlebnis zu schaffen. Weitere Werkzeuge sind die Durchführung von Benutzerforschung, das Entwerfen der Informationsarchitektur und Interaktionselemente, das Erstellen von Prototypen, die Durchführung von Usability-Tests sowie die Gestaltung von visuellen Elementen.

Durch die gezielte Gestaltung von Systemen und Benutzeroberflächen, die die kognitive Belastung reduzieren und die Informationsverarbeitung unterstützen, schaffen Designer und Entwickler nicht nur ästhetisch ansprechende Produkte, sondern auch positive und effiziente Nutzererlebnisse. Das Ergebnis bildet die Grundlage für ein reibungsloses und sogar freudvolles Arbeiten mit digitalen Tools. Dies hat zur Folge, dass Nutzer die Zeit mit der Anwendungen genießen können, gerne zurückkehren oder sie weiterempfehlen. Deshalb ist die konsequente Anwendung von User Experience Design nicht nur der Schlüssel zur Bewältigung von Komplexität in der digitalen Welt, sondern auch ein Wettbewerbsvorteil.

Prototyp des Startscreen der MioMedico Ap, dem digitalen Assistenten für die Hausapotheke. Design: Manuel Immler, Maita Petersen.

Ich komme noch einmal auf Ihre Erinnerung vom Anfang zurück. Es gibt Tools, die es Ihnen Schwierigkeiten bereitet, und andere, die Ihnen Freude machen. Ich glaube, nachdem Sie diese Prinzipien kennengelernt haben, können Sie das nächste Mal, wenn Sie damit arbeiten, klarer ableiten und beschreiben, was die Gründe für dieses schwammige Gefühl sein könnten. Und falls Sie nicht wissen nicht, wovon ich spreche? Probieren Sie mal Software aus, die absichtlich diese Prinzipien ignoriert. Frust garantiert: