Kreislaufwirtschaft ist eine Notwendigkeit. Dabei ist die Frage weniger, ob das lineare Modell ausgedient hat, sondern vielmehr,wann es für die eigene Branche nicht mehr tragfähig ist. Einige wesentliche Kriterien für die Beantwortung dieser Frage sind schnell aufgezählt:
Mehr noch: Konsequent zu Ende gedacht, entsteht durch Kreislaufwirtschaft ein enormes Innovationspotenzial, das es zu nutzen gilt.
Wenn unser Handeln nach dem Prinzip „besser als Konsum, ist mehr Konsum“ funktioniert, werden zirkuläre Geschäftsmodelle keine brauchbare Lösung sein. Kreisläufe und zirkuläre Geschäftsmodelle machen dann Sinn, wenn wir in systematischen Gesamtlösungen denken. Während die lineare Vorgehensweise das Produkt nur maximal bis in den Markt denkt, versucht das zirkuläre Modell, den Weg über das direkte Nutzungsende zu denken. Bis dahin, wo das Produkt in das nächste Leben übergeht. Aus diesem Grundgedanken heraus verbieten sich Produkte, die direkt nach dem Kauf ihren Wert praktisch vollständig verloren haben. Eine logische Konsequenz dieses Gedankens: Um den praktisch immer höheren Aufwand der ersten Produktentstehung zu kompensieren, muss man entweder teurer verkaufen oder den finanziellen Vorteil über den Nutzungszyklus hinweg abschöpfen.
Dazu ein Beispiel:
Ein Akkuschrauber, der für 15 Euro verkauft wird, kann 500 Schrauben gut verarbeiten. Das ist für die meisten Anwendungen im Privathaushalt ausreichend und macht ihn damit zu einem zirkulären Einweg-Produkt. Denke ich im Gegensatz dazu einen Akkuschrauber zirkulär, würde er deutlich länger halten, die Kundenanforderungen jedoch auch völlig übererfüllen - was vom Kunden nicht oder nur begrenzt honoriert werden würde.
Das ändert sich, verkaufe ich den wertigen Schrauber als Service. Dann lohnt sich das Modell wieder:
Entscheidend ist, über die ersten 500 Schrauben hinauszudenken und diesen Ansatz in das Geschäftsmodell mit einzubeziehen. Die drei grundlegenden Prinzipien dabei sind:
Daraus lassen sich folgende zehn Strategien ableiten:
Vermeidung von Rohstoffaufwand | 1. Erneuerbare Ressourcen beim Material/-Energieinput Im Produktionsprozess werden endliche Ressourcen und Materialien durch erneuerbare, bio-basierte oder recycelte Materialien ersetzt. |
2. Nachhaltiges Design Im Produktdesign liegt der Schlüssel, um Produkte später gut reparieren, recyceln, wiederaufbereiten, lange nutzen und / oder up-cyclen zu können. |
|
3. Effizienz der Ressourcen Die Vermeidung von Verschwendung in den Wertschöpfungsprozessen ist häufig der einfachste Ansatzpunkt, um den eigenen Rohstoffaufwand zu minimieren. |
|
Produktnutzung maximieren | 4. Product-as-a-Service Einen Service genau in dem Bereich einzuführen, der traditionell von Produkten bedient wurde, ermöglicht es, den Produktlebenszyklus zu verlängern. |
5. Teilen und Virtualisieren Physische Dinge wie Autos, Räume, Maschinenleistung teilen oder Einkauf direkt - wie bei Büchern, Musik - virtualisieren |
|
6. Optimierung der Nutzung und Wartung Erhöhung der Leistung und Effizienz eines Produktes durch kontinuierliche Wartung |
|
7. Wiederverwendung/Umverteilung Ein-/Verkauf von gebrauchten Produkten, um den Produktlebenszyklus zu erhöhen |
|
Rückgewinnung von Rohstoffen | 8. Up-Cycling Wiederaufbereitung von Produkten oder Komponenten für eine neue (höherwertige) Nutzung |
9. Recycling aus dem Herstellungsprozess Abfall beim Herstellungsprozess wieder als Materialinput verwenden |
|
10. Recycling nach Gebrauch Nach Ende des Produktlebenszyklus entsorgte Materialien wieder als Materialinput verwenden |
Diese zehn Strategien sind die Ansatzpunkte, um Kreisläufe im eigenen Unternehmen einzurichten, aus denen sich bestimmte Herausforderungen ergeben. Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften identifiziert in ihrem Bereich 2021 sechs potenzielle Barrierekategorien, die die Steigerung der Zirkularitätsrate erschweren. Am Beispiel vom Service-Angebot Wartung lassen sich diese sechs Kategorien folgendermaßen beschreiben:
Quelle: Eigene Darstellung nach Manuel Immler
1. Regulatorische Barrieren sind solche, die sich aus politischen Entscheidungen bzw. solchen staatlicher Institutionen ergeben. Im Falle von Wartung fehlt häufig eine regulatorische Grundlage des Gesetzgebers, die es attraktiv macht, ein Wartungsangebot aufzustellen
2. Finanzielle Barrieren Hierunter fallen alle Barrieren, die das Finanzierungs- und Ertragsmodell aus zirkulären Geschäftsmodellen negativ beeinflussen. Im Falle von Wartung stellen wir beispielsweise oft fest, dass dieses Serviceangebot ein vielfach höheres Produktpreisniveau besitzt als ein Neuprodukt. Das macht es schwierig, diese Dienstleistung anstelle eines neuen Produktes zu verkaufen.
3. Organisatorische Barrieren Hierunter fallen Unternehmensakteure und -entscheidungen, die die Implementierung oder Skalierung von zirkulären Geschäftsmodellen behindern. Heutzutage ist zwischen Hersteller und Nutzer oft die einzige Schnittstelle der Point-of-Sales, während die Erbringung von Wartungsdienstleistungen in der gesamten Nutzungsphase von Produkten erfolgen muss und auf mehrere Schnittstellen angewiesen ist. Die Distanz zwischen Hersteller und Nutzer erschwert es, vom Wissen des Nutzers zu lernen und das Produkt entsprechend zu optimieren oder einen kontinuierlichen Informationsaustausch zum Zustand des Produktes herzustellen und zu erhalten. Eine ganz andere organisatorische Barriere liegt in der Unternehmenskultur. Viele Organisationen sind auf Effizienz und Größenvorteile ausgelegt. Die Bereitstellung von Wartungsleistungen bedarf jedoch Flexibilität als Gewinntreiber. Diese Anforderungen können dazu führen, dass die Kosten der Flexibilisierung als unüberwindbar empfunden werden.
4. Konsumbezogene Barrieren stellen die Praktiken der Nutzer dar, die die Einführung von zirkulären Geschäftsmodellen verlangsamen. Am Beispiel der Wartung fallen dazu direkt mehrere Punkte auf: Da gibt es zum einen die Preissensibilität des häufigen unterschiedlichen Preisniveaus zwischen Anschaffungskosten zu Ungunsten der Wartungskosten. Zum anderen besteht bei nicht emotionalisierten Produkten häufig eine geringere Produktverantwortung, die dazu führen kann, dass auch die Wartung den Produktlebenszyklus nicht ungemein verlängert. Weiterhin wird die Wartung selbst häufig als Aufwand wahrgenommen, statt als Hilfe.
5. Barrieren in der Wertschöpfungskette umfassen alle markt- und netzwerkbezogenen Faktoren und Aspekte entlang der Wertschöpfungskette. Eine Herausforderung ist hier, beschleunigte Innovationszyklen mit langen Produktlebenszyklen zu vereinen. Es bedarf somit einer Möglichkeit, Innovationsnutzen in das Produkt nach Verkauf an den Kunden zu überführen.
6. Technische Barrieren beziehen sich auf den Lebenszyklus von Materialien und Produkten. Häufig wird das Produktdesign nur auf den Anfangsnutzen optimiert, statt auf spätere Wartungsmöglichkeiten.
Soll eine der oben genannten Strategien zur Implementierung von mehr Kreislauffähigkeit umgesetzt werden, lohnt es sich, die Barrieren, die es dafür zu überwinden gilt, konkret zu identifizieren.
Eine deutlich unterschätze Kraft zur Überwindung von Barrieren für die Entwicklung hin zu zirkulären Geschäftsmodellen ist die Digitalisierung. Sie ermöglicht Vernetzung zwischen den Akteuren, Automatisierung von wiederkehrenden Abläufen, intelligente Prognosen sowie Virtualisierung von ganzen Produkten und Leistungen. Auch hier können wir am Beispiel Wartung anschaulich zeigen, wie manche der Barrieren mit digitaler Hilfe überwunden werden können:
KI sind Software-Algorithmen, die komplexe Entscheidungsprozesse automatisieren. Hier lässt sich maschinelles Lernen kombinieren, wo Algorithmen versuchen, ihren Entscheidungsfindungsprozess zu optimieren. Was beides braucht, sind große Datenmenge. Diese Kombination versetzt Maschinen in die Lage, selbstständig zunehmend bessere Entscheidungen zu treffen und eine Reihe von Funktionen autonom durchzuführen. Ein Anwendungsfall ist beispielsweise das autonome Identifizieren von wiederverwertbaren Materialien im Abfall oder die Erkennung von Mustern und Trends in der Produktnutzung. Letztere Informationen können wiederum in die Optimierung des Produktdesigns fließen bzw. für die Anpassung des eigenen After-Sales-Services genutzt werden.
IoT beschreibt ein Ökosystem von Sensoren, eingebetteten Computern und vernetzten Produkten bzw. Anlagen. Es ist die Grundlage für Überwachung, Verfolgung und Rückverfolgung von Produkten auf dem Weg durch die verschiedenen Schleifen der Kreislaufwirtschaft. Auch kann es eingesetzt werden, um den Verschleiß zu reduzieren und den Einfluss auf die Lebensdauer des Produktes besser zu steuern. Mit Hilfe von IoT kann sich beispielsweise ein Produkt am Ende seines Lebenszyklus selbstständig zur Wartung anmelden, sobald gewisse selbstgemessene Toleranzen überschritten werden.
Robotik umfasst alle Maschinen mit ausgefeilter Sensorik und Intelligenz, um klassische Wertschöpfungsabläufe zu automatisieren, um so wiederum die Produktivität zu erhöhen. Intelligente Produktionsanlagen überführen die Eigenschaft von IoT aus dem Produkt in die Wertschöpfung, wodurch eine effizientere, störungsfreiere und flexiblere Produktion möglich wird.
Additive Fertigung beschreibt das Erzeugen von dreidimensionalen Objekten aus digitalen Modellen durch das Drucken von Ebene für Ebene, beispielsweise um schnelle Prototypen zu erzeugen oder Kleinserien herzustellen. Typische Druckmaterialen sind: Glas, Metall, Beton, Kunststoffe oder lebendige Zellstrukturen. Ein großer Anwendungsfall der additiven Fertigung ist das Selbstanfertigen von Ersatzteilen. Anstelle des teilweise großen logistischen Aufwands für die Vorhaltung und Distribution, braucht es nur eine Internetverbindung und einen 3D-Drucker.
Die vertrauenswürdige Natur dieser Technologie ermöglicht ein dezentralisiertes und sicheres Datenmanagement, mit dem die Änderung, der Standort, der Zustand, die Qualität, die Menge oder Eigentumsverhältnisse von Ressourcen transparent erfasst und dokumentiert werden können. Eine mögliche Anwendung der Technologie liegt in der möglichen Rückverfolgbarkeit von Produkten, Komponenten und Materialien entlang der Wertschöpfungskette auch über Organisationsgrenzen hinweg.
Augmented Reality reichert die Realität mit computergestützten Überlagerungen an bzw. erlaubt das Eintauchen in eine 100% virtuelle Erfahrung (VR). Hiermit lassen sich Innovation präsentieren, ohne sie physisch produziert zu haben, Kollaboration erhöhen und Menschen in ihrem Arbeitsprozess in Echtzeit mit Informationen versorgen. So gibt es bereits Lösungen, die auch dem nichtgeschulten Anwender helfen, mit Hilfe von AR-Technologie, komplexe Wartungsarbeiten selbstständig durchzuführen.
Der enorme Vorteil von Onlineplattformen ist die direkte Verbindung zwischen Kunden mit dem Hersteller. So erhält er zum einen die Möglichkeit, die Kundenbedürfnisse besser zu verstehen, ohne den Weg über Distributoren gehen zu müsssen. Eine engere Kundenbeziehung ist häufig ein direktes Ergebnis davon; die physische Distanz zwischen Hersteller und Nutzer kann so oft überwunden werden.
Darüber hinaus eignen sich Onlineplattformen sehr gut als Marktplätze für die Vermittlung kosteneffizienter Produkte, Leistungen und Ressourcen sowie als Basis für zirkuläre Geschäftsmodelle, die auf Nutzung statt Besitz basieren, wie dem Teilen oder Mieten.
Was machen wir nun mit diesem Wissen? Wir haben aufgezeigt, dass Kreislaufwirtschaft als wahrer Innovations-Booster funktionieren wird. Sie bringt eine neue eigene Sicht auf Produkte und verlangt dabei ein Denken in Gesamtlösungen. Der Schritt in diese schöne neue Welt ist nicht ganz einfach. Diverse Barrieren erschweren den Wechsel von linearer Produktion hin zu mehr Kreislauffähigkeit. Die Schlüsseltechnologie zum Überwinden dieser Barrieren ist vielerorts die Macht der Digitalisierung. Sie ist mit ihren neuen Möglichkeiten, auch zu enormer Effizienzsteigerung, die Eintrittskarte zu mehr Kreislauffähigkeit. Schon letztes Jahr haben wir dieses Thema in unserem Seminar „How to Geschäftsmodell 2021 aufgegriffen“. Jetzt ist es aktueller denn je!
Weiterführende Quellen:
Fallstudie der Akademie für Wissenschaften
Fallstudie von pwc
https://www.pwc.de/de/nachhaltigkeit/wieso-die-kreislaufwirtschaft-zur-neuen-normalitaet-wird.html
Beispiel eines Kölner StartUp
Weitere Praxisbeispiele
Kompetenzzentrum Mittelstand 4.0
AR in der Instandhaltung
https://www.instandhaltung.de/instandhaltung-4-0/augmented-reality-im-instandhaltungseinsatz-326.html