Sprachrohr

Recycling - Das neue Mining

Geschrieben von Manuel Immler | Jan 26, 2022 8:46:55 AM

Holz, Magnesium, Lithium, Phosphor, Harnstoff. Die Liste an Rohstoffen, die zurzeit aus jeweils ganz unterschiedlichen Gründen knapp sind, wird fast wöchentlich erweitert (1), (2). Wenn plötzlich Küchengeräte oder PKW nicht mehr geliefert werden, werden wir uns der Abhängigkeit der Weltwirtschaft und der teilweise fragilen Wirksysteme bewusst, die uns mit Gütern, Bauteilen und Rohstoffen versorgen.  

Kosteneinsparung, internationale Konkurrenz und nötige Effizienzsteigerung haben dazu geführt, dass viele Industrien in sogenannte "Best-Cost-Countries" ausgelagert wurden. Wichtige Metalle wie Magnesium (3), Halbleitermaterialien, aber auch Medikamente (4) oder Batterien kommen nun zum großen Teil aus dem fernen Osten. Eine heimische Produktion wäre nicht konkurrenzfähig, die Kosten sind hier zu hoch.  

Über viele Jahre lief das größtenteils reibungsfrei, doch nun, wo eine Pandemie und andere überlagernde Krisen Sand ins Getriebe streuen, wird spürbar, dass unsere Abhängigkeit Konsequenzen hat.  Mangelnde Materialverfügbarkeit, Lieferschwierigkeiten und steigende Kosten sind die Folge. 

Die Natur macht es uns vor 

Europa verfügt nur über wenige der in Zukunft wichtigen Bodenschätze (Metalle, Halbmetalle), gleichzeitig wird mit steigender globaler Nachfrage und begrenzten oder gar schwindenden Quellen (5) der Konkurrenzkampf um diese Rohstoffe zunehmen. Mit steigenden Kosten oder unsicherer Versorgung wird daher eine weitere “Quelle” immer interessanter: das Recycling. Die Natur macht es uns vor, sie kennt kaum Abfälle. Stattdessen ist sie durchwirkt von geschlossenen Kreisläufen. Jeder Reststoff wird von einem nächsten Organismus verarbeitet und dient damit wieder als Antrieb, um den Erhalt des Gesamtsystems zu sichern.  

Das steht im krassen Kontrast zu unserem aktuellen Abfall- oder besser Wertstoff-System. Viel zu viele Materialien werden noch nicht recycelt, sondern werden unsortiert verbrannt, in Deponien eingelagert oder landen im Meer. Sie sind damit unwiederbringlich verloren. 

Diesen Verlust zu reduzieren, ist die Idee hinter der Kreislaufwirtschaft. Dem Vorbild der Natur folgend, sollen alle Wertstoffe ins System zurückgeführt werden. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg.  

Das immense Potenzial nutzen – mit Urban Mining 

Die Gründe für unsere unzureichende Abfallverwertung sind vielfältig. Beispielsweise sind Bauteile untrennbar als Verbundwerkstoff hergestellt oder Recycling ist noch nicht rentabel – auch weil Kosten noch externalisiert werden dürfen. Beispiele dafür, dass auf diese Weise viele wertvolle Rohstoffe verloren gehen, gibt es zuhauf. Unsere ausrangierte Elektronik wird nach Afrika exportiert, der Plastikmüll Deutschlands wurde 2018 in solchen Mengen (560.000 T pro Jahr) exportiert, dass China dessen "Einreise" verweigert hat.  

Doch schlummert hier ein großes Potential. Auf der einen Seite haben wir die prekärer werdende Versorgung, auf der anderen Seite versickern die Ressourcen, die unsere Industrie in Zukunft speisen könnten. Langfristig gedacht, müssen wir diese beiden Enden zusammenführen. Wenn Knappheit  und Kosten zunehmen, wird es also immer attraktiver in unseren Deponien und Abfällen, die neuen Rohstoffe zu schürfen. Die Zukunft des Minings  liegt also genau dort, wo der Abfall anfällt. Vor allem in den Städten. Das Bundesumweltamt schreibt dazu: „Anders als der Name vermuten lässt, bezieht sich Urban Mining nicht allein auf die Nutzung innerstädtischer Lager, sondern befasst sich vielmehr mit dem gesamten Bestand an langlebigen Gütern. Darunter fallen beispielsweise Konsumgüter wie Elektrogeräte und Autos aber auch Infrastrukturen, Gebäude und Ablagerungen auf Deponien (6).“ 

Wenn wir die Kreislaufwirtschaft in Angriff nehmen, werden unsere Abfälle zu Sekundärrohstoffen, gleichzeitig werden natürliche Ressourcen geschont. Ein weiterer Vorteil dabei ist, dass sich die sogenannten anthropogenen Reserven oftmals dadurch auszeichnen, dass sie in Menge und Reinheit die natürlichen Reserven übertreffen und näher am Ort der Verwendung zu finden sind. Dennoch gibt es einige Herausforderungen, die urbanen Schätze zu heben. Eine hochwertige Aufbereitung wird erleichtert durch eine verlässliche Qualität des Ausgangsmaterials in ausreichender Menge. Doch gerade das ist bei Sekundärrohstoffe nicht immer einfach. Diese kommen nicht nur in immenser Vielfalt vor, sondern sind auch oft von unterschiedlichsten Kontaminationen betroffen. 

Urban Mining meint, dass wir die bereits angehäuften Abfälle verwerten und die vom Menschen eingelagerten Ressourcen nutzen.  Nach vorn gedacht, finde ich es aber noch viel wichtiger, dass unsere zukünftigen Güter gar nicht erst deponiert oder kontaminiert werden, sondern möglichst frühzeitig einer Verwertung zugeführt werden. Dazu ist es notwendig, die Verwertung am Produktlebensende von Anfang an mitzudenken. Das gilt auf verschiedenen Ebenen: 

BY DESIGN 

Entschärfen lässt sich die Problematik zum Teil dadurch, dass neue Produkte schon von Anfang an für die Verwendung im Kreislauf ausgelegt und designed sind. Sortenreine Werkstoffe (beispielsweise Cradle to Cradle) und einfache Zerlegbarkeit sind dann selbstverständlich. Wenn Wertstoffe dann sortenrein gesammelt werden, können die Stoffströme einfach gebündelt und verwertet werden. Heute ist beispielsweise das Kunststoff-Recycling dadurch erschwert, da es tausende Mischungen mit zahllosen Additiven gibt, die nicht in ausreichender Qualität verwertet werden können.  

BY SCALE 

Das Recycling ist zunächst teuer, da lohnintensiv oder sich Spezialmaschinen erst bei großen Mengen lohnen. Sind die großen Ausgangsmengen nicht zuverlässig verfügbar, lohnt sich Recycling oft nicht. Kosten lassen sich in der Industrie meist durch Skaleneffekte drücken. Wir müssen also dafür sorgen, dass wir ausreichende Mengen von sortenreinem Material bündeln können, um hochautomatisierte Anlagen betreiben zu können. Dann hat Recycling die Chance zur kosteneffektiven Alternative zu werden. Beispielhaft kann hier das Recycling von Litihium-Ionen Akkus genannt werden. Hier sind die Prozesse getestet und etabliert, erste Unternehmen in Deutschland aber auch in den Niederlanden stehen in den Startlöchern. Jedoch fehlen im Moment noch die großen Mengen (7) an zu recycelnden Akkus, um die Maschinen auszulasten. Aus diesem Grund gibt es kaum recycelte Ausgangsstoffe für die Batterieproduktion. Wenn mit dem Verlauf der Jahre mehr E-Autos ihr Lebensende erreichen, wird das Angebot hier wachsen und zur Alternative zum Lithium aus natürlichen Quellen werden (8). Laut Schätzungen wird der globale Markt für recyceltes Lithium im Jahr 2040 bei 31 Mrd. $ liegen.  

BY LAW

Unsere Regeln, Gesetze und Subventionen sind in einer linearen Wirtschaft entstanden, doch sind noch nicht auf die Bedürfnisse einer Kreislaufwirtschaft angepasst. Zahlreiche Kosten werden externalisiert und verzerren damit den Markt. Laut Umweltbundesamt belaufen sich die umweltschädlichen Subventionen in Deutschland im Jahr 2018 auf mindestens 65 Mrd. € (9), der Großteil davon für die Nutzung fossiler Energien. Wenn wahre Kosten eingepreist werden und kontraproduktive Subventionen abgeschafft werden, haben nachhaltige Konzepte die Chance, kompetitive Angebote zu erschaffen. Hier muss natürlich behutsam vorgegangen werden, denn die Systemabhängigkeiten sind gewaltig. Das Umweltbundesamt empfiehlt, „den ökologischen Strukturwandel [zu] unterstützen und wirtschaftliche Härten [zu]vermeiden“ (ebd.).  

Weitere Potentiale bestehen beispielsweise in der Regulierung für Werkstoffe und deren Verwendung. PET (10), ein Kunststoff, der sich besonders für die Verpackung von Lebensmittel eignet, zeichnet sich auch durch ein wirtschaftliches Recycling aus. Im Jahr 2011, 70 Jahre nach der Erfindung des Kunststoffs, stellte die European Food Safety Authority fest, dass sich auch recyceltes PET  für Lebensmittelkontakt eignet. Hierdurch wird echtes Recycling (statt Downcycling) ermöglicht, es erweitern sich die Anwendungsmöglichkeiten und Marktchancen.  

Eine Regulierung, die die neuen Herausforderungen in den Blick nimmt, kann also Hürden aus dem Weg räumen und neue Praktiken den Weg ebnen.  

Urban Mining heißt einerseits, die Ärmel hochzukrempeln und unseren Müllbergen die wertvollen Rohstoffe zu entlocken, die dort versteckt sind. Auf der anderen Seite können wir jetzt auch beginnen, die Rohstoffe von morgen leichter zugänglich zu machen – durch zielgerichtetes Design und Materialauswahl, durch eine Skalierung der Stoffströme und kosteneffektive Infrastruktur sowie neue Regeln, die nachhaltige Ziele in den Blick nehmen.  

Wenn wir das erfolgreich umsetzen, gibt es in Zukunft weniger Müllberge und nur noch wenig versickert unwiederbringlich. Wir gewinnen unsere Rohstoffe dann dort, wo sie als „Wertstoff“ anfallen und können die natürlichen Ressourcen beträchtlich entlasten. Dass das nicht kurzfristig zu erreichen ist, leuchtet mir ein, aber wenn wir heute anfangen, ist es eines Tages Realität.

 

Sind Sie schon fleißig am Recyceln? oder haben andere Maßnahmen der Kreislaufwirtschaft umgesetzt? Wo stehen Sie? Mit Hilfe unserer Kreislaufwirtschaftsmatrix können Sie sich mit dieser Frage selbst verorten:

[1] https://blog.ratioform.de/rohstoffknappheit-2021-gruende-und-folgen-fuer-die-industrie/ 

[2] https://www.br.de/nachrichten/wirtschaft/fehlender-rohstoff-magnesium-folgen-fuer-bayerns-firmen,SoLtt0c 

 [3] https://www.br.de/nachrichten/wirtschaft/fehlender-rohstoff-magnesium-folgen-fuer-bayerns-firmen,SoLtt0c 

[4] https://www.pharmazeutische-zeitung.de/

[5] https://www.ingenieur.de/technik/fachbereiche/rohstoffe/rohstoffe-und-ihr-vorkommen-im-ueberblick/ 

[6] https://www.umweltbundesamt.de/themen/abfall-ressourcen/abfallwirtschaft/urban-mining#was-ist-urban-mining- 

[7] https://www.swr.de/wissen/deshalb-brauchen-wir-mehr-batterie-recycling-100.html 

[8] https://www.mining.com/li-ion-battery-recycling-market-to-reach-31bn-per-year-by-2040-report/ 

[9] https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/479/publikationen/texte_143-2021_umweltschaedliche_subventionen.pdf 

[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Polyethylenterephthalat