Sprachrohr

Was steckt hinter digitalen Lösungen?

Geschrieben von Manuel Immler | Apr 5, 2022 4:49:41 PM

Wer heute digitale Lösungen entwickeln will, die innovativ und kundenorientiert sein sollen, sieht sich früher oder später mit einer ganzen Menge kryptischer Abkürzungen und schick klingender Methoden konfrontiert. Was dahintersteckt und welche Funktionen sie erfüllen, sehen wir ganz plastisch, wenn wir es mit einem alltäglichen Thema vergleichen - der Küche. 

Eine neue Küche bauen = Software Entwickeln

Küche = Software 

Anschlüsse = API 

Gebäude = Rahmenbedingungen 

Ernährung & Leben = Aufgabe & Ziel  

Stellen wir uns vor, wir wollen eine Küche bauen. Wir haben ein Gebäude, und darin befindet sich ein Raum. Es gibt Fenster, ein paar Wände, Wasseranschlüsse, eine Deckenhöhe. Und es gibt einen oder mehrere Menschen, die diese Küche mit Leben füllen wollen. Es soll eine Werkstatt für gesunde Ernährung sein, aber auch Raum zum Leben. 

Bedürfnisse und Ziele verstehen = Design Thinking Teil 1  

Herausfinden = Verstehen 

Beobachten = Beobachten 

Klares Bild = Sichtweise 

Wie gehen wir vor? Im ersten Schritt wollen wir herausfinden, was sie sich wünschen. Da es nicht immer leicht ist, zu wissen, was man genau will, könnten wir fragen, was die Aufgaben und Herausforderungen sind, die die Küche lösen soll. Möchte ich Gäste empfangen und braucht eine große Tafel Platz oder reicht eine kleine Theke für den Stehimbiss? Wie oft wird gekocht, wie sieht es mit der Vorratshaltung aus? Welche Töpfe gibt es schon und welcher Herd kommt für sie in Frage? Wie viel Bequemlichkeit ist gewünscht und was heißt das zum Beispiel für die Auszüge der Schubladen? Mit der Beantwortung dieser Fragen bekommen wir ein facettenreiches Bild, um die Aufgabenstellung lösen zu können. Vielleicht besuchen wir die Menschen, denen die neue Küche dienen soll, sogar in ihrer jetzigen Küche, beobachten, wie sie sich darin bewegen und erkennen vielleicht liebgewonnene Routinen oder auch umständliche Handgriffe, die zur unbewussten Gewohnheit wurden und nicht artikuliert werden können.  

Wenn wir ein klares Bild gewonnen haben, welche Bedürfnisse und Herausforderungen adressiert werden sollen, halten wir diese Annahmen fest und stellen mit den Bewohnern sicher, dass wir alles richtig verstanden haben. 

Ideen und Lösungskonzepte erarbeiten = Design Thinking Teil 2 & User Experience Design (UXD) 

Ideen = Ideation / Ideen finden 

Schränke, Geräte und Möbel = Features 

Aufbau = Wireframe 

Engstellen = Bugs, Fehlermeldungen, Orientierungsverlust 

Modell = Prototypen 

Reflektieren = Testen 

Pappmodell = Clickdummy 

konstruktive Kritik = Feedback 

Nun können wir ein Grundkonzept für die Küche erarbeiten. Dazu sammeln wir zunächst möglichst viele Ideen, die Teil der Lösung sein könnten. Aus den Ideen filtern wir im Anschluss die am besten geeigneten Ideen heraus und kombinieren sie miteinander. Da wir jedoch nicht im luftleeren Raum arbeiten, müssen die Ideen in die gegebenen Rahmenbedingungen integrierbar sein.

Wir nehmen also einen Grundriss und platzieren unsere Schränke, Geräte und Möbel so in den Raum, dass sich unterschiedliche Ensembles aus technischer Installation, Laufwegen aber auch Lichteinfall und Raumgefühl ergeben.  

Dabei wird es die perfekte Lösung, in der alle Bedürfnisse vollständig berücksichtigt werden können, wahrscheinlich nicht geben. Mal steht der Kühlschrank zu weit weg, mal hat der Esstisch zu wenig Platz oder die gewünschte Schrankzahl wird nicht ganz erreicht. Am Ende gilt es, einen Aufbau zu erreichen, der möglichst viele Wünsche erfüllt und nichts Wesentliches außer Acht lässt.  

Was jedoch immer gewährleistet sein sollte, ist, dass sich die Bewohner sicher fühlen können. Ohne,  Engstellen , an denen man sich einklemmen kann oder sich Schubladen und Türen gegenseitig blockieren. Die in diesem Sinn vielversprechenden Konzepte werden nun plastisch ausgearbeitet, um sie mit den Bewohnern anschaulich reflektieren zu können, indem die Küche, als Pappemodell nachgebaut, gemeinsam begangen wird. Wichtig ist, dass die Idee von allen verstanden wird, um sie auch wirklich konstruktiv kritisieren zu können. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass alle auf dem richtigen Weg sind zum nächsten Schritt.  

 

Küche gestalten = User Interface Design (UID) 

Aufbau = Wireframe 

Geräte und Schränke = Features 

Materialität = Look & Feel, Style, Animationen 

Gestalt = User Interface 

Orientierung = Usability 

Nachforschung = Trendanalyse 

Bewohner = Persona /Zielgruppe 

Sicherheit = Sicherheit  

Verweilen = Selbstwirksamkeit 

Griffe = Anzeichenfunktionen / Action Color 

Farbe = Farbkonzept 

Darstellungen = Screens 

Maßstab = Testing 

Plan = Lastenheft 

Wenn der Aufbau der Küche steht, ist schon viel geschafft. Es ist nun klar, wo welcher Schrank, welches Gerät stehen soll, wo noch Platz für Bilder an der Wand ist und wo die Lampen installiert werden. Klar ist auch, welche Geräteund Schränke zum Einsatz kommen. Kurz gesagt, alle Funktionen sind geklärt. Wir können jetzt loslegen mit dem Zusägen von Platten, dem Anschrauben von Beschlägen, der Installation von Lampen. Dann hätten wir schnell eine vollständige und funktionale Küche, die allen Anforderungen gerecht wird. Kunde zufrieden.  

Oder haben wir etwas vergessen? Wenn wir Menschen dabei beobachten, wie sie sich Küchen aussuchen, stellen wir fest, dass wir einen Punkt bisher außer Acht gelassen haben: die Materialität. Es ist ein zentrales Anliegen, wie der Raum beschaffen ist, welche Materialien zum Einsatz kommen, wie es sich anfühlt, wenn man mit der Hand über die Arbeitsplatte streicht. Es reicht nicht, nur zu bestimmen, wo Lampen angebracht werden. Oft ist ebenso wichtig, welche Lampen aufgehängt werden und welche Wirkung ihr Licht entfaltet. Denn Gestalt ist auch Funktion, sie kann Wärme oder Kraft ausstrahlen, uns Orientierung und Zugehörigkeit vermitteln. Sie sagt etwas über uns aus und trägt maßgeblich dazu bei, wie wir uns fühlen, wenn wir uns in der Küche aufhalten.  

Bevor wir also zur Kreissäge greifen, sollten wir nachforschen, welche Ausstrahlung die Küche haben soll, welche Farben und Oberflächen im Trend und gewünscht sind, in welchen Kreisen sich unsere Bewohner bewegen und was ihre Vorlieben sind. Dann können wir ein Materialkonzept über unser fertiges Layout legen und so eine Küche präsentieren, die nicht nur technisch funktioniert, sondern auch Sicherheit undGeborgenheit stiften kann und zum Verweilen einlädt. Dazu suchen wir die richtigen Holzarten aus, stimmen die Form der Griffe mit den Möbeln ab und suchen stilechte Lampen aus. Wir machen Vorschläge zur Farbe der Wände und dazu, ob Vorhänge passend sind. Wir sammeln also auch hierzu Ideen, fügen diese zu stimmungsvollen Kompositionen zusammen und gießen das in Darstellungen, die das mögliche zukünftig Aussehen der Küche transportieren. Auch hier sind die Menschen, die diese Küche mit Leben füllen werden, wieder Maßstab dafür ob und wann der Entwurf am Ende freigegeben wird. Alle bisher erarbeiteten Anforderungen werden in einem Plan festgehalten, so dass alle Ideen ihren Weg in die Umsetzung finden. 

Die Küche produzieren = Software entwickeln 

Produktion = Entwicklung 

Plan = Lastenheft 

Einbauen = Roll Out 

möglichst früh = Speed 

Mindestanforderung = MVP (minimum viable product) 

Schritt für Schritt = agile Entwicklung 

Nun, da wirklich alles bedacht und entschieden ist, können wir mit der Produktion loslegen. Mit Hilfe des Plans können wir Beschläge und Lampen bestellen, Platten zusägen, Holz verleimen. Wir produzieren die komplette Küche, und wenn alles fertig ist, bauen wir sie in einem Rutsch vollständig ein. Und die Menschen können die fertige Küche beziehen.  

Das ist ein veritabler Weg, aber es gibt dazu noch eine Alternative. Nehmen wir an, die Menschen können nicht auf die fertige Küche warten, sie wollen möglichst früh schon auf dem neuen Herd kochen können, und ein Tisch sollte auch vorhanden sein. Die Schränke und die Stühle sind dafür zunächst noch nicht so wichtig. Wir können die Küche also auch Stück für Stück liefern. Wir kennen die Mindestanforderung (ein sicher und bequem benutzbarer Herd + ein Stehtisch), diesen Teil sollten wir möglichst schnell bereitstellen, damit die Bewohner ihre Grundbedürfnisse stillen können. Während wir diese Teile herstellen und einbauen, können wir parallel eine Strategie erarbeiten, in welcher Reihenfolge wir die Schränke installieren und wann wir den Stehtisch durch die Tafel mit Stühlen ersetzen. Das heißt nicht, dass die fertige Küche dann Stückwerk ist. Vielmehr werden die Baugruppen in der Reihenfolge geliefert, wie sie benötigt werden und wie es technisch sinnvoll ist. Auf diese Weise nähert sich die Küche Schritt für Schritt dem fertigen Zustand an, und der Wert für die Bewohner steigt mit jedem dieser Schritte. Und wahrscheinlich lernen wir beim schrittweisen Aufbau sogar noch etwas Neues dazu, können geänderte Wünsche in den Plan mit aufnehmen und am Ende sogar eine noch bessere Küche abliefern als ursprünglich geplant. 

Wenn wir jetzt auf das Projekt der Softwareentwicklung zurückblicken, stellen wir fest, dass es nicht nur zuverlässige Technologie und gut gemachte handwerkliche Umsetzung braucht. Wir müssen auch sicherstellen, dass unsere Technologie das tatsächliche Problem der Kunden löst und auf den Faktor Mensch eingeht. Eine gute technische Lösung, die nicht angenommen wird, weil sie unintuitiv gestaltet ist und widersprüchliche Nutzerführung aufweist, provoziert Fehler und erzeugt Frustration. Wenn unsere digitale Lösungen den Anspruch haben, erfolgreich angenommen zu werden, dann bedarf es einer konsequenten Ausrichtung und Gestaltung auf die Bedürfnisse der Zielgruppe, so dass eine stringente User Experience sicher gestellt ist.

Eine gute Küche erlangt man also nicht nur dadurch, dass man die richtigen Scharniere besorgt und das Holz besonders genau sägt. Wir erschaffen die Küche, die die Kunden glücklich macht, wenn wir ihnen viel Zeit widmen, sie und ihre Bedürfnisse genau verstehen, aus dieser Brille aufs Produkt blicken und dann eine maßgeschneiderte Lösung gestalten, die diese Bedürfnisse in den Vordergrund stellt.