Bei unserer Themenreihe zur digitalen Verantwortung geht es uns darum, Bewusstsein für die verschiedenen Dimensionen von Verantwortung im Zusammenhang mit der Digitalisierung zu beleuchten. UND, ganz wichtig: letztlich Lösungsansätze aufzuzeigen, wie digitale Verantwortung etabliert werden kann. Ein für uns nützliches Werkzeug ist das von Kybernetiker Prof. F. Malik entwickelte Werkzeug der doppelten überlagerten S-Kurve.
Das S-Kurven Modell beschreibt eigentlich nur den generellen Übergang eines Systems von einem Entwicklungszustand in einen nächsten. Dabei basiert Maliks Darstellung auf der Grundidee von Richard N. Foster (Berater bei McKinsey), dessen Aufsatzpunkt der Technologielebenszyklus nach Arthur D. Little ist (vgl. Goos/Hagenhoff).
Generell können wir davon ausgehen, dass durch die Weiterentwicklung eines Systems (jetzt hier ganz bewusst sehr generell betrachtet als eine Technologie, ein Unternehmen, ein Geschäftsmodell...) dessen Leistungsfähigkeit kontinuierlich zunimmt. Gleichzeitig ist uns aber auch bewusst, dass die Steigung (also die Steigerung der Leistungsfähigkeit mit der immer besseren Ausreizung der Möglichkeiten) etablierter Systeme über die Zeit abnimmt. Die Kurve wird also flacher. Dies gilt generell für alle Technologien, Produkte, Unternehmen oder auch deren Geschäftsmodelle. Gut bekannt und vertraut ist uns dieser Kurvenverlauf aus dem Produktlebenszyklus.
1. Die „weiter so"- Strategie
Wenn wir uns also mit unserer Zukunft befassen und diese aktiv gestalten wollen, müssen wir uns fragen, wie wir auf oder an dieser Kurve entlang unsere Arbeit als System optimieren können. Diese kontinuierliche Verbesserung ist die klassische „weiter so“-Strategie, in der wir (mehr oder weniger) die Vergangenheit und unsere Erkenntnisse daraus in die Zukunft prognostizieren. Essenziell für die Überlebensfähigkeit des Systems. Aber sie macht keine Sprünge. Es ist mehr oder weniger ein Kontinuum, in dem wir uns weiterentwickeln. Diese „weiter so“- Strategie ist die Basis für alle etablierten Unternehmen, sie bildet die Basis für das Butter- und Brot-Geschäft. Um hier einmal konkret zu werden: Wenn wir z.B. als Händler unsere bestehenden Geschäftsprozesse mit den heute so geschätzten Werkzeugen der Digitalisierung verbessern und damit schneller und günstiger unsere Produkte zum Kunden bringen, ist das die konsequente Optimierung auf der roten Kurve.
Das ist richtig und zukunftssichernd, solange wir in einem Umfeld ohne größere Verwerfungen leben. Nur wenn durch massive Veränderungen der Umfeldbedingungen die Spielregeln grundsätzlich verändert werden, könnte dieser Ansatz an seine Grenzen stoßen.
Wenn also Disruption ins Spiel kommt, könnten sich die Spielregeln grundsätzlich verändern. Ob dies der Fall ist und was, wann und wo der wirklich Disruptive zum Durchbruch verhilft, ist immer ungewiss. Es gibt also neben der oben dargestellten System-Entwicklungskurve etablierter Systeme eine zweite Kurve, die die Entwicklung junger neuer Systeme zeigt. Diese verlaufen grundsätzlich auf einer exponentiellen Kurve, wenn sie erfolgreich werden. Auch hier kennen wir genügend Beispiele wie bspw. das Auto Anfang des letzten Jahrhunderts oder das iPhone. Das Problem dabei: Wir wissen nicht, ob sie je richtig zu wachsen beginnen oder ewig auf einem „Jugend forscht Niveau“ bzw. in Nischen bleiben. Hier wäre der Wankel-Motor ein gutes Beispiel.
Daher ist die zweite Frage, der wir uns im Kontext der Strategiearbeit (oder einfach der aktiven Zukunftsgestaltung) stellen müssen: Wie sieht unsere Strategie für die „grüne Kurve“ aus? Wie gestalten wir gänzlich neue Realitäten? Was hat das Zeug, unser heutiges Geschäftsmodell zu zerstören? Kill your Darlings ist der methodische Ansatz dahinter. Wenn wir uns als Händler fragen, wie unsere Zukunft aussehen kann, wird es nicht reichen, möglichst digital und billig unsere Produkte zum Kunden zu bringen. Die Frage auf der grünen Kurve ist vielmehr: Was kann ich mit den heute bzw. morgen verfügbaren Mitteln und Technologien meinen Kunden bieten, damit er immer noch bei uns kaufen will? Welche Optionen bietet bspw. Big oder Smart Data, um unseren Wert für den Kunden noch besser zu machen? Meist sind dies ergänzende Leistungen, die die Händler der Zukunft attraktiv machen. Hier werden die Stichworte der neuen Geschäftsmodelle eingeflochten: Sharing, Free Minimum, Individualisierung in Stückzahl 1...
Diese „Digital New“-Strategie ist genauso wichtig wie die Strategie des „weiter so“. Nur muss uns klar sein, es gibt hier weit mehr Unsicherheiten. Digital New kann auch nur viel Geld kosten und keinen Erfolg bringen. Ob wir alle in Zukunft viel mehr „sharen“ werden, wissen wir nicht. Auch nicht, ob weitere Individualisierung wirklich ein Erfolg oder smarte, predictive Services wirklich relevant sind im Zukunftsmarkt. Sicher ist nur: Wenn wir warten bis es sicher ist, ist es zu spät. Dann ist der Markt durch, die Chance vertan und damit auch die Gefahr, als System aus dem Markt zu scheiden relevant.
Wenn wir uns jetzt das Bild in Maliks Modell als Ganzes betrachten, wird deutlich, dass der Übergang von „rot nach grün“ kein Punkt, sondern ein Raum ist. Diesen Raum des Übergangs gilt es zu gestalten. Ohne gezielte Gestaltung ist ein erfolgreicher Übergang von einem Lebenszyklus in den nächsten ein Lotteriespiel und damit ein wirtschaftlich nicht zu vertretenes Risiko.
Dabei kommt der Frage der eigenen Gestaltungsmöglichkeit eine zentrale Rolle zu. Zum einen gibt es genügend gute Produkte und Leistungen, die am Markt nie ein Erfolg wurden. Daher gilt es Fragen zu stellen wie:
Gestaltungsmöglichkeit gilt aber auch intern: Wenn wir hier nicht die nötige „Überzeugungstäter“- Haltung schaffen, wird es nichts werden mit dem „Digital New". Hier stellen sich jetzt Fragen wie:
Wenn wir also der Annahme folgen, dass wir in einer Welt der disruptiven, radikalen Umbrüche und Verwerfungen leben, dann ist die Konsequenz, dass es neben der Zukunft auf der roten „weiter so“ Kurve auch eine oder sogar viele mögliche grüne „Digital New“ Kurven gibt. Dann ist aber auch klar, dass wir den Raum, um von einer Kurve auf die Andere zu gelangen, genau dafür nutzen müssen. Der Digitalisierungs-Canvas ist ein nützliches Werkzeug, um methodisch-strukturiert vorzugehen und gleichzeitig den Überblick zu behalten.
Den Digitalisierungs-Canvas als Vorlage gibt es hier: