Sprachrohr

Achtsam vs. agil - Wir sagen: beides!

Geschrieben von Claudia Weyrauther | Dec 7, 2022 6:08:19 AM

Veränderung bedeutet immer, dass wir mit Unbekanntem konfrontiert werden. Um damit umzugehen und uns daran anzupassen, können wir dann nur noch bedingt auf unsere Erfahrungen bauen, und Fehler sind vorprogrammiert. Ungewohnt und für viele unangenehm, denn wir kommen aus einer Phase, in der in den meisten Lebensbereichen vor allem um Optimierung und Standardisierung ging. 

Und nun geht es, wollen wir uns an „das Neue“ anpassen oder mehr, es gestalten, um das exakte Gegenteil: um Experimentieren und einem neuen Umgang mit Fehlern. Um beides dreht es sich in zwei wichtigen Ansätzen:

1. Dem mindful organizing, dem Organisieren kollektiver Achtsamkeit, den sogenannte Hochzuverlässigkeitsorganisationen (High Reliability Organisations, kurz HRO) wie Feuerwehr, Atomkraftwerke, Krankenhäuser, die Waldbrand-Bekämpfung oder die Flugsicherung) nutzen, sowie

2. Dem der agilen Organisation.

Agil! Das ist doch der Ansatz der Stunde. Warum nicht einfach bei ihm bleiben und ihn weiter verbreiten? Wir meinen, weil es in Zeiten der Unsicherheit DAS Allheilmittel nicht geben kann. Management-Hypes und ideologische Grabenkämpfe, wie wir sie in den letzten 20, 30 Jahren kommen und gehen sahen, bringen uns in der Transformation nicht weiter. Vielmehr geht es aus unserer Sicht heute darum, die zentralen Aspekte der vielversprechendsten Ansätze zu sichten, zu verstehen, zu verknüpfen und passend anzuwenden. Deshalb ist unsere Antwort auf unsere Titelfrage: beides, und zwar passend zum jeweiligen Kontext, den Herausforderungen und dem Ziel, das verfolgt wird.

Fangen wir damit an, worin die beiden Ansätze sich am augenscheinlichsten unterscheiden, ja, einander regelrecht auszuschließen scheinen: Wo agile Teams und Organisationen auf Experimentieren setzten und Fehler gar als Lernchancen begrüßen, setzen HROs auf den ersten Blick rein auf das fortlaufende Trainieren optimal geplanter Abläufe, um Fehler auszuschließen. Weil bei ihnen kleinste Fehler zu Katastrophen führen können, dürfen sie sich die für agile Organisationen typischen, iterativen Entwicklungs-Loops und das damit einhergehende trial-and-error Lernen nicht leisten.

Dass trotz schwieriger Bedingungen in HROs weit weniger Unfälle und Störungen auftreten, als statistisch zu erwarten wäre, liegt interessanterweise aber nicht nur am strikten Einhalten von Abläufen zur Vermeidung von Fehlern. Der Grund dafür liegt in einer weiteren, weniger sichtbaren aber für sie ebenso typischen Haltung, die auf folgender Einsicht beruht:

"Der Plan ist nichts. Planung ist alles."

Dieses von Dwight Eisenhower, dem amerikanischen General und späteren Präsidenten der USA, stammende Zitat besagt: In unsicherem Terrain ist es weit wichtiger, flexibel und anpassungsfähig, also in einem ständigen Zustand der Planung zu sein, als einen festen Plan zu haben, der sich jeden Moment als unbrauchbar erweisen könnte. Nicht umsonst lautet eine Binsenweisheit des Projektmanagements: Ein Plan ist ein Plan, bis er auf die Realität trifft. Und das unterschreiben beide Ansätze!

Wenn Fehler entstehen, werden diese in beiden weder angstvoll überbewertet noch bagatellisiert oder gar verleugnet. Sie werden ernstgenommen - und sehr bewusst und zielorientiert genutzt. Dabei können es sich agile Organisationen - im Rahmen der vorhandenen Ressourcen - leisten, schnell und unkompliziert (im besten Fall spielerisch, denn je freier der Geist sein darf, desto mehr und bessere Lösungen werden gefunden), Alternativen zu testen. Agil eben. HROs dagegen begegnen Unregelmäßigkeiten und Fehlern nach dem Prinzip der Achtsamkeit: der Fähigkeit ihrer Mitarbeiter:innen, im gegenwärtigen Moment bewertungsfrei und bewusst wahrzunehmen, was um sie herum geschieht und was sie tun, ohne sich davon überwältigt zu fühlen, mental abzuschweifen und vor allem: ohne sofort zu reagieren! Um im Moment, auch und vor allem in Krisensituationen, Unerwartetes und potenziell Bedeutungsvolles bewusst wahrzunehmen und letztlich in ihren weiteren Entscheidungen zu berücksichtigen. Denn die eine Information mehr, der kurze Moment weiterer Reflektion und Auswertung kann möglicherweise schwerwiegende Folgen verhindern helfen oder auf wirklich neue Wege führen. Dieses kollektiv achtsame Vorgehen ermöglicht es HROs, sich in unübersichtlichen Situationen mit hohem Überraschungspotential (wie wir sie aktuell erleben), zurechtzufinden. Und so widersprüchlich das scheint: Dabei standardisieren, üben und verbessern sie gleichzeitig auch laufend Abläufe, wie schon erwähnt. Das macht es allen Beteiligten möglich, in diesen Abläufen auf Autopilot zu schalten. Der entlastet, spart mentale und physische Energie, erzeugt Ruhe und Stabilität und damit die nötigen Freiräume für Achtsamkeit. 

Diese außergewöhnliche Mischung aus entlastender Planung und dem achtsamen Aufspüren von Außerplanmäßigem macht HROs so resilient.

Ihr Ansatz ist somit, neben dem der Agilität, eine weitere hervorragende Vorlage für den Umgang mit jeglichen Formen der Komplexität, ob im Zusammenhang mit der dem Anstoßen von Veränderung oder dem Führen und Zusammenhalten heutiger Teams und Organisation. Neben der Kultur der Effizienz und Zuverlässigkeit existiert in HROs noch eine weitere basierend auf Vertrauen, psychologischer Sicherheit und dem unbedingten Hochhalten von Expertentum, die nicht mit den oft noch starren Hierarchien und Prozessen anderer Unternehmen zu vereinbaren sind.

Möchten Sie sich darüber austauschen, was Sie für eine solche Kultur tun können - oder generell die 5 Prinzipien von HROs genauer kennenlernen und verstehen, wie sie sich in Ihrem Unternehmen oder Ihrem Team umsetzen lassen? Sprechen Sie uns an! Mehr dazu gibt es für Sie auch in unseren Wissensduschen „Über-leben wieder en vogue. Was wir von High Reliability Organisations lernen können“ und „Warum agil uns das (Über)Leben rettet“.