Wenn wir wollen, dass ein Team agil arbeitet, nützt es nichts, das Team damit zu beauftragen. Dieser Auftrag wäre nicht nur ein Widerspruch in sich, weil Agilität sich nicht anordnen lässt, er würde zudem weder zur Befähigung noch zur Bereitschaft des Teams beitragen, die künftigen Aufgaben und Projekte agil anzugehen.
Auf die Frage, was agil bedeutet, spuckt uns die Suchmaschine in einer Sekunde fast 4,5 Mio Einträge aus, da lässt sich also etwas in Erfahrung bringen. Die Definition, die mir am besten gefallen hat, weil sie die prägnanteste war, ist die von Wikipedia: Agilität bedeutet, dass eine
Organisation fähig und bereit ist, notwendige Veränderungen flexibel, proaktiv, antizipativ und initiativ einzuführen.
Wenn man für ein Team ein Training in Sachen Agilität sucht, findet man mit einem Klick über 300.000 Möglichkeiten und Angebote. Da ist sicher etwas passendes dabei.
Man könnte allerdings auch einen Schritt zurücktreten und erst mal überlegen, welche konkreten Anforderungen ein Team für agiles Arbeiten bewältigen muss und was die Bedingungen sind, damit das gelingen kann. Zu verkünden, dass wir ab morgen alle mal so richtig antizipativ sein wollen (alles klar, seid Ihr dabei, tschakka?!?), wird eher nicht wirklich überzeugen und schon gar nicht schlagartig das Ruder rumreißen. Was aber weiterbringt, sind die Antworten auf Fragen nach den erforderlichen Kompetenzen.
Patrick Lencioni nimmt in seinem Buch „Five Dysfunctions of a Team” eine außergewöhnliche Perspektive ein und beschreibt dysfunktionale Dynamiken, die garantieren, dass ein Team im besten Falle nicht von der Stelle kommt, und mehr: dass es wahrscheinlich mittelfristig sogar implodiert und sich auflöst oder aufgelöst werden muss.
Lencioni bringt zunächst den Begriff Vertrauen ins Spiel, als Grundlage der Zusammenarbeit mit anderen Menschen. Das ist nur auf den ersten Blick vielleicht ein wenig verwunderlich, bei näherem Hinsehen aber sehr plausibel, weil uns das „Prinzip Vertrauen“ nicht nur im Team, sondern in nahezu jeder interaktionalen Alltagssituation begleitet. Wir vertrauen z.B. darauf, dass der Fahrer des Busses oder des Taxis ohne Alkohol aber mit Führerschein und Konzentration fährt, dass die Lehrerin unsere Kinder gut behandelt, die Ärztin die richtige Maßnahme aus der richtigen Diagnose ableitet und dass beim Einkauf uns das richtig abgezählte Wechselgeld zurückgegeben wird. Und so weiter. Im Alltag gelingt das den meisten von uns offensichtlich ganz gut. Es gelingt uns, weil es gelingen muss, da ohne eine gewisse Grundmenge Vertrauen eigentlich keine Alltagsbewältigung möglich ist.
Wie ist das bei der Zusammenarbeit mit Kolleg*innen, lässt sich das übertragen? Hilfreich dabei ist, wenn ich als Teammitglied bereit und in der Lage bin, erst mal vom Guten auszugehen, darauf zu setzen, der/die Andere macht seinen Job gut und engagiert sich, so wie ich auch, für unsere gemeinsamen Ziele. Das kann natürlich auch schiefgehen, schon klar. Vertrauen als Grundlage der Zusammenarbeit in einem Team zu etablieren ist kein Ein-Tages-Projekt und fordert den Beteiligten einiges ab. Dazu gehört z.B. die Bereitschaft, sich selbst und anderen Schwächen und Fehler zu zugestehen, sich zu entschuldigen und Entschuldigungen anzunehmen und darauf zu verzichten, immer recht haben zu müssen.
Wenn Sie Lust haben auf eine kleine Übung, probieren Sie doch das mal aus: Wenn Sie am kommenden Wochenende die Frühstücksbrötchen holen, verzichten Sie als ein kleines Experiment einmal darauf, das Wechselgeld nachzuzählen.
Auf der Grundlage Vertrauen entwickelt sich nach Lencioni innerhalb eines Teams eine positive Konfliktkultur. Damit sich diese Kultur etablieren kann, braucht es von den Mitgliedern zweierlei. Das eine ist die Fähigkeit, kritische Themen so zu thematisieren und Konflikte im Bemühen darum auszutragen, dass es nicht zu Kränkungen und Verletzungen kommt, die Konfliktpartner den Konflikt bereinigt und konstruktiv abgearbeitet haben und hinterher wieder konstruktiv zusammenarbeiten können. Das andere ist die Bereitschaft, den unbequemen Weg der offenen Aussprache zu wagen, sich gegebenenfalls kritischen Rückmeldungen zu stellen und sich, sozusagen, an den Tisch der Verhandlungen zu setzen. Für eine echte Konfliktkultur braucht es beides, das Eine funktioniert nicht ohne das Andere. Wer zwar bereit ist, Konflikte offen und auch offensiv anzugehen, sich aber nicht um konstruktive und integrative Lösungen bemüht und darum, dass Konfliktparteien ohne Gesichtsverlust aus dem Konflikt herauskommen, muss sich vielleicht vorwerfen lassen, nur zu streiten um des Streitens willen. Und wer eigentlich weiß, wie Konfliktbearbeitung funktioniert und sich zurückhält, vielleicht aus Bequemlichkeit oder aus sonstigen Gründen, trägt nicht zur Beilegung von Konflikten bei und erschwert die Einführung oder den Erhalt einer erfolgreichen Konfliktkultur.
Menschen, die ich einer solchen angemessen offenen und bewussten Konfliktkultur, in der sie zu Wort kommen und ihren Standpunkt offen darlegen dürfen, fühlen sich gesehen und wertgeschätzt. Das ist meist schon die halbe Miete dafür, dass sie sich dem Team und seinen Zielen auch verpflichtet fühlen. In solchen Teams, in denen sich die Mitglieder ausdrücklich und transparent der gemeinsamen Erreichung bestimmter Ziele verschrieben haben, herrscht Klarheit hinsichtlich der Prioritäten. Alle Ressourcen sind auf die Erledigung der Aufgaben bzw. auf die Erfüllung der Anforderungen ausgerichtet. Wer eine Aufgabe übertragen bekommt, versteht sich als Kümmerer*in, übernimmt die Verantwortung, sorgt dafür, dass „es“ läuft/klappt/funktioniert und bringt es zu Ende. Uneindeutigkeiten bei Absprachen und Begründungen für Nichterfüllung von übernommenen Aufgaben kommen in solchen Teams sehr selten vor, vielmehr gilt die Kompetenz zum schnellen und unmittelbaren Agieren als Merkmal guter Mitarbeit und geschätzter Mitgliedschaft im Team. Die Verpflichtung für das gemeinsame Ziel fordert vom Team und von den einzelnen Mitgliedern, sensibel für den Prozess der Zielerreichung zu sein, um bei Bedarf und kurzfristig agil, also schnell und flexibel die notwendigen Anpassungen vornehmen zu können.
Das Prinzip Verantwortlichkeit geht auf dieser Grundlage einen Schritt weiter: Es erfordert von den Mitgliedern eines Teams die Kompetenz, über die Erledigung der eigenen Aufgabe hinaus zu denken. Zu sagen, ich habe meinen Job erledigt, die anderen müssen dafür sorgen, dass sie ihren auch schaffen, reicht nicht. Wenn ein Team das Prinzip Verantwortlichkeit kulturell verankert hat, schauen und achten die Mitglieder aufeinander und bieten sich gegenseitig Unterstützung an. Sie gehen proaktiv aufeinander zu, um zwei Aspekte abzusichern: Zum einen tragen sie so dazu bei, sicherzustellen, dass das Teilziel der Kollegin/des Kollegen erfüllt wird und in die Erreichung des Gesamtziels des Teams einzahlen kann. Zum anderen fördern und stabilisieren sie eine Arbeitsatmosphäre und eine Kultur, in der die einzelnen Mitglieder die Erfahrung von wirklichem Teamgeist machen und dadurch bereit sind, gemeinsam mit den anderen sich für anspruchsvolle Aufgaben zu engagieren.
Über die Aufgaben der eigenen Aufgaben hinaus zu denken, erfordert also die Fähigkeit und die Bereitschaft, auch für die Aufgabe bzw. den Workload der Kollegin / des Kollegen eine Teilverantwortung zu übernehmen.
Teams brauchen immer wieder Absprachen und Abstimmungsprozesse, Diskussionen um Einschätzungen, Differenzierungen und Perspektivenabgleiche. Teams, die es schaffen, in diesen Kommunikationsprozessen den Fokus stabil auf der Erreichung von Zielen und Resultaten zu halten, setzen sich höchstwahrscheinlich aus Kolleg*innen zusammen, die eine gewisse persönliche Reife und Reflexionstiefe mitbringen. In solchen Teams geht es seltener um sogenannte Spiele der Erwachsenen wie z.B. „immer Recht haben wollen“, „alles wurde schon gesagt, nur noch nicht von jedem” (Karl Valentin), Fehler leugnen, klein reden oder auf andere schieben usw. Diese Spiele gehen nicht nur allen auf Nerven, vergiften die Atmosphäre und belasten die kollegialen Beziehungen. Sie kosten schlicht auch Zeit und verhindern jegliche Agilität. Also braucht es von den einzelnen Mitgliedern unter anderem die Kompetenz, sich selbst nicht immer so wichtig zu nehmen für die gemeinsame Sache, wenn nötig, zurücknehmen und in Abstimmungsprozessen damit zufrieden sein zu können, wenn ein Beschluss „nur“ zu 80% mit den eigenen Erwartungen übereinstimmt.