Mit seinem berühmten Satz „Culture eats strategy for breakfast“ betonte der amerikanisch-österreichische Ökonom Peter Drucker, dass die Kultur einer Organisation einen deutlich stärkeren Einfluss hat, als es Visionen, Werte, Ziele oder Strategien je haben werden. Was der Pionier der modernen Managementlehre vor Jahrzehnten erkannt hatte, ist in Zeiten digitaler Transformation, international wachsender Konkurrenz und nationalem Fachkräftemangel aktueller denn je.
Die Rede vom Kulturwandel ist in aller Munde, denn im immer härteren Wettbewerb können dauerhaft nur diejenigen Organisationen bestehen, die eine überzeugende Unternehmenskultur entwickeln. Eine „richtige“ Unternehmenskultur zieht gute Mitarbeiter:innen an oder stößt sie ab. Sie treibt Innovationen an oder verhindert sie. Die richtige Kultur zu haben, wird damit auch zu einem strategischen Erfolgsfaktor. Aus diesem Grund müssen sich Unternehmen den Herausforderungen und Veränderungen unserer neuen (agilen) Arbeitswelt kontinuierlich stellen, sich und ihre Unternehmenskultur hinterfragen und gegebenenfalls neu entwickeln. Doch wie gelingt ein nachhaltiger Kulturwandel?
An einem Beispiel aus unserer Praxis der Organisationsentwicklung lassen sich dieser Transformationsprozess und seine Anforderungen gut darstellen. In den 1950er Jahren gegründet, entwickelte sich das Unternehmen schnell zu einem erfolgreichen, international operierenden Mittelständler und gehört heute weltweit zur Spitze seiner Branche.
Um sich auch für die Zukunft gut aufzustellen, möchte die neue Führung die bisherige Unternehmenskultur mit eigenen Visionen, Ideen und Wertvorstellungen weiterentwickeln – und stößt dabei auf eine Vielzahl von Herausforderungen.
Die Mitarbeiter:innenschaft des Unternehmens ist sehr heterogen und setzt sich aus verschiedenen Altersgruppen, vielfältigen Professionen und unterschiedlicher Dauer hinsichtlich der Betriebszugehörigkeit zusammen. Die Menschen sind in verschiedenen Betriebsbereichen tätig, mit völlig unterschiedlichen Aufgabenstellungen.
Diese Diversität spiegelt sich in den unterschiedlichen Perspektiven und Haltungen wieder, die in Bezug auf Veränderung eingenommen werden, von großer Offenheit für Neues, zu eher verhaltener und abwartender Bereitschaft bis hin zu Ablehnung und Verweigerung.
Warum etwas ändern, das man schon immer so macht? Warum etwas tun, das man noch nie getan hat?
Allerdings ist in der heutigen Zeit das kulturelle Moment mehr denn je ein starker Treiber, da es die Menschen an ihren ganz persönlichen Bedürfnissen abholt: Was ist der Sinn von Arbeit? Was erwarte ich mir von meinem Arbeitsleben? Was ist mir neben meiner Arbeit wichtig? Aber die Entwicklung und der Wandel einer Unternehmenskultur stellen auch Anforderungen, sowohl an die Führung als auch die Mitarbeiter:innen. Zunächst beginnt Kulturentwicklung mit der Entscheidung auf Leitungsebene und bedarf eines Initiators, der/die eine Notwendigkeit bzw. ein Bedürfnis nach Wandel erkennt und einleitet.
Aber: Das reicht natürlich nicht. Kulturwandel ist ein Prozess, der nicht einfach von oben erzwungen oder angeordnet werden kann. Die Unternehmensführung muss das Thema integrativ angehen und wichtige Akteure erkennen: Wen brauche ich im Unternehmen für den Wandel? Wer sind dabei die „Fackelträger:innen“, die den Bedarf und die Notwendigkeit von Veränderung nicht nur erkannt haben, sondern bereit und in der Lage sind, aktiv mitzugestalten? Und wer sind die Bewahrer:innen, die dem Wandel eher kritisch bis ablehnend gegenüber stehen und wie gehe ich mit ihnen um? Die Identifizierung solcher Key Player ist neben der Formulierung und Einführung neuer Werte ein entscheidender Schritt im Transformationsprozess.
Kultur und ihr Wandel ist also immer eine unternehmerische Entscheidung, dennoch muss sie transparent kommuniziert werden – gerade im gesellschaftlichen Gesamtkontext einer sich verändernden Arbeitsmarktrealität. Denn die Generation der Baby Boomer verabschiedet sich und die jungen Absolvent:innen der Hochschulen und Ausbildungsbetriebe können sich mittlerweile aussuchen, in welche Unternehmen sie gehen – und ihre Anforderungen an das eigene Berufsleben unterscheiden sich extrem von denen der Vorgänger-Generationen. Eine ausgeglichene Work-Life-Balance, ganzheitliches „Gesehen-Werden“ und kulturelle Aspekte spielen eine entscheidende Rolle, Stichwort „New Work“. Unternehmen sind daher gut beraten, solche Entwicklungsprozesse selbst zu initiieren, sind sie doch ein oder vielleicht sogar DAS Unterscheidungsmerkmal in Hinblick auf eine langfristige Mitarbeiterbindung.
Den Wandel einer Unternehmenskultur jedoch nur als eine Art „Wellbeing-Management“ zu verstehen, wäre zu eng gedacht, denn bei einer Transformation geht es letztlich immer um den unternehmerischen Erfolg, um Kundengewinnung und Prosperität. Und die richtige Kultur und die richtigen Werte, welche die Geschäftsführung ihren Mitarbeiter:innen vermittelt, spielen beim Erreichen dieses Ziels eine wichtige Rolle. In welches Geschäft gehen wir selbst lieber: In Geschäft A mit der freundlichen Bedienung, bei der wir uns als Kund:innen gut aufgehoben fühlen, das aber vielleicht ein paar Meter weiter weg ist? Oder in Geschäft B, vielleicht etwas schneller erreichbar, aber mit Miesepetern als Verkäufer:innen, die uns mit ihrer schlechten Laune den Tag verderben? Eben! Wenn die Geschäftsleitung von Geschäft A ihre Mitarbeiter:innen anleitet, freundlich zu sein – also eine klare Unternehmenskultur und Werte formuliert und achtet – dann ist das ein ganz entscheidender USP!
Um es mit noch einem Bild zu beschreiben: Kultur und unternehmerischer Erfolg eines Unternehmens sind wie zwei Zahnräder, die ineinander greifen: Wer Kultur als verordnetes Kaffeekränzchen missversteht und dabei die Zahlen aus den Augen lässt, der wird langfristig genauso wenig Erfolg haben wie diejenigen, die nur auf den reinen Gewinn schauen.
Rufen wir uns Folgendes noch einmal ins Gedächtnis: Ebenso wie Unternehmenskultur selbst, kann auch ihr Wandel nicht von oben verordnet oder gemanagt werden. Die Führungspersonen können ihn bestenfalls initiieren oder begleiten, aber managen im Sinne von planen und organisieren kann man ihn nicht. Beim Kulturwandel geht es als Führungsperson vor allem darum, den Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen sich etwas verändern kann. Das hört sich erst einmal leichter an als gedacht. Rahmen schaffen bedeutet immer auch Gratwanderung zwischen Alt und Neu, eine Mischung verschiedener Führungsstile: Offen sein für Veränderung und dabei bereit sein, die eigene Komfortzone zu verlassen. Einerseits führen, Vorgaben machen und sich einmischen. Aber andererseits auch folgen, das Erarbeitete der Mitarbeiter:innen mittragen und sich zurückhalten.
Die Unternehmensführung muss bereit sein zu differenzieren: Heißt Verantwortung immer rigide Kontrolle? Keinesfalls! Der englische Begriffe des „Controling“ (Steuerung) im Gegensatz zum deutschen Begriff der „Kontrolle“ im Sinne einer Überwachung, macht hier den entscheidenden Unterschied deutlich. Und zum Controling, also zur richtigen Steuerung, gehört auch, sich gemeinsame Ziele und Ergebnisse anzuschauen und dann im Team zu überlegen, was zu tun ist, um wieder „on track“ zu kommen.
Den richtigen Rahmen schaffen, offen sein, steuern statt kontrollieren: Viele Führungskräfte haben ihre Rolle in der Entwicklung eines Kulturwandels bereits verstanden. Doch auch von der Belegschaft müssen entscheidende Impulse hervorgehen und die Bereitschaft, gemeinsam am Wandel zu arbeiten. Gerade in traditionellen Unternehmen, die bisher eher hierarchisch von oben geführt wurden, sind auch Kultur und Unternehmensstrukturen immer noch sehr von diesem Führungsstil geprägt. Insbesondere große, global arbeitende Unternehmen sind dabei wie ein riesiger Tanker auf dem Meer. Will dieser eine Kurve machen, muss er schon Kilometer vorher damit anfangen, den Änderungskurs einzuleiten.
Genauso unbeweglich wie der große Tanker sind oft auch die Beharrungskräfte mancher Mitarbeiter:innen, die an den alten, häufig patriarchalisch geprägten Strukturen festhalten möchten. Veränderung macht ihnen oft Angst und so gilt es für die neue Leitung, in ihnen mehr Mut und Vertrauen in sich und neue Führungsmaximen zu initiieren. Denn die Motivation der Belegschaft und der Transformationsprozess bedingen dabei einander: Einerseits kann ohne Motivation keine Transformation gelingen. Andererseits kann aber auch ein Wandel auf die Mitarbeiter:innen motivierend wirken. Teilhabe, etwas Neues mitgestalten zu können, der Arbeit Sinn geben – das stimuliert, fördert so die Eigeninitiative vieler und diese ist letztendlich der Motor jeder Veränderung.
Kultur entwickelt sich jedoch nicht nur im Dialog zwischen Führungsebene und Mitarbeiter:innen, sondern auch innerhalb der Belegschaft, sozusagen ein Konflikt der Generationen, der sich vom Privaten auch in die Arbeitswelt ausgeweitet hat. Die unterschiedlichen Generationen in den Unternehmen haben auch unterschiedliche Anforderungen an ihre Arbeit und es ist herausfordernd, diese beiden Perspektiven zu integrieren. Hierzu braucht es einen ressourcenorientierten Blick der unterschiedlichen Generationen aufeinander.
Man könnte einerseits mit Neugierde auf die junge Generation und auf deren neue Lebensmodelle und Ideen zur Gestaltung von Arbeit schauen, Stichwort „familienorientierte Work-Life-Balance“. Neugierig zu sein ist aber auch gerechtfertigt hinsichtlich der Erfahrungen und Expertise der älteren Generation, die sich oft schon seit Jahrzehnten mit dem Unternehmen so identifizieren, als ob es ihr eigenes ist, und den bisherigen Erfolg begleitet haben. Sich im Kontext von Arbeit und den täglichen geschäftlichen Anforderungen gemeinsam um einfache Lösungen zu bemühen, schafft nicht nur Verbundenheit und eine menschliche Atmosphäre in der Zusammenarbeit im Kollegium und mit Kund:innen, sondern trägt auch zum unternehmerischen Erfolg bei.
Und so schließt sich auch hier wieder der Kreis: Unternehmenskultur und unternehmerischer Erfolg – die beiden Zahnräder, die ineinander gehen.
Unternehmen, die sich heute ernsthaft der Weiterentwicklung ihrer Kulturen widmen bewirken damit, bewusst oder unbewusst mehr als die Verbesserung und Weiterentwicklung der internen Zusammenarbeit. In einer Zeit, in der viele junge Menschen der Generation zwischen 19 Jahren und 35 Jahren große Verunsicherung empfinden und nachweislich für sich persönlich keine positiven Perspektiven erkennen, erhalten Kulturentwicklungsprozesse in Unternehmen einen neuen und sehr bedeutsamen Stellenwert.
Über die Hälfte der in einer aktuellen Jugendstudie befragten jungen Menschen beschreibt das Lebensgefühl, nur einen geringen oder keinen Einfluss auf den Verlauf des eigenen Lebens zu haben und eher von Ängsten als von Hoffnungen beeinflusst zu sein. Getriggert sind diese Wahrnehmungen von globalen Sachverhalten wie u. a. Klimawandel, Pandemie und Krieg z.B. in Europa.
Gut dazu passt, dass die bisherige diagnostische Beschreibung der Gesellschaft als VUCA-Gesellschaft1 derzeit eine Weiterentwicklung bzw. eine Fortschreibung erfährt. Die Beschreibung VUCA stammt aus Zeiten des kalten Krieges und bestimmte bisher das Lebens- und Arbeitsgefühl vieler Menschen. Seit 2020 gibt es den neuen Begriff BANI2, der hinsichtlich der Wahrnehmung gesellschaftlicher Zustände und deren Einfluss auf die persönliche Lebensqualität vieler Menschen als Verschlimmerung von VUCA gesehen und verstanden wird.
Hier geht es um mehr, als nur darum eine neue Kuh durchs Dorf zu treiben. Vielmehr ist aus BANI die Notwendigkeit abzuleiten, jungen Menschen Perspektiven und positive, konstruktive Narrative zur Verfügung zu stellen. Kulturelle Entwicklungsprozesse in Unternehmen leisten hier einen wichtigen Beitrag, wenn sie darauf abzielen, die aktuelle Lebenswirklichkeit der Mitarbeiter:innen in die Gestaltung von Kultur und Arbeit miteinzubeziehen und Führungskräfte entsprechend fördern, schulen und unterstützen.
Worauf kommt es also an? Kulturwandel geschieht weder allein top-down noch bottom-up, sondern in einer ausgewogenen, beteiligungsorientierten Mischung aus beidem. Führungskräfte müssen den Mut haben, auch Verantwortung abzugeben und Kontrolle im Sinne von Steuerung neu zu definieren. Mitarbeitende hingegen müssen selbst aktiv und initiativ werden, die neuen Werte und weiter gesteckten Grenzen als Chance zur Mitgestaltung erkennen und nutzen.
Die eigentliche Mission in einem Wandel ist daher nicht, die Leute nur „mitzunehmen“, sondern in ihnen Resonanz zu erzeugen, sie in ihrem Denken und Handeln zu inspirieren: Wenn das gelingt, dann passiert wirklich etwas, dann entsteht Wandel und Veränderung! Wenn Führungskräfte in diese Richtung denken und lenken, dann können sie auch ihre Leute inspirieren. Um es fast philosophisch auszudrücken: Menschen ohne Inspiration arbeiten nur ab, Menschen mit Inspiration schaffen etwas Neues. Inspiration ist (im Idealfall) der Odem des (Arbeits-)Lebens, das Lebenselixier.
1. VUCA -> V=Volatilität; U=Unsicherheit; C=Komplexität (Complexity); A=Ambiguität;
2. BANI -> B=Brittleness (Brüchigkeit); Anxiety (Angst); Nonlinearity (Nichtlinearität); Incomprehensibility (Unverstehbarkeit)