Dahinter steckt die systemische Überlegung, dass in Zeiten starker Veränderungen auch Führung anders angepackt werden muss, wenn sie funktionieren soll. Wer sich darum nicht kümmert, also seine eigenen oder die Fähigkeiten seiner Führungskräfte nicht weiterentwickelt, könnte sich bald in der Situation sehen, dass niemand mehr bleibt, den man führen könnte.
Führungskräfte, die am Puls der Zeit agieren und verstehen wollen, was wirklich gebraucht wird, müssen zuhören können. Damit ist mehr gemeint, als nur zu hören, was die jemand (Mitarbeiter*innen, Kund*innen,…) sagt. Vielmehr geht es bei diesem Zuhören darum, zu verstehen, was die Leute mit dem meinen, was sie sagen.
Flache Hierarchien, Beteiligungsmöglichkeiten, Sinnerfahrung, ausgeprägte Maßnahmen zur Förderung der Work-Life-Balance, Fokussierung auf Faktoren der emotionalen Bindung im Unternehmen, werteorientierte Ausrichtung, ökologisch geprägte Nachhaltigkeit und Gendersensibilität sind nur einige der Aspekte, die auf die Entscheidung künftiger ArbeitnehmerInnen zu kommen bzw. zu bleiben, großen Einfluss haben werden.
Gleichzeitig werden nicht alle mit den gleichen Interessen kommen und sich auch stark unterscheiden hinsichtlich Ausbildungsqualität, Niveau, persönlichem Reifegrad, individueller Bereitschaft sich zu engagieren, Bereitschaft und Fähigkeit Veränderungen mit zu gestalten und Verantwortung, vielleicht sogar Führung zu übernehmen.
Das macht den Alltag von Führungskräften nicht einfacher. Mit dieser zunehmenden Diversität von Anforderungen an Führungskompetenz müssen erfolgreiche Führungskräfte professionell und souverän umgehen können.
Der Mitarbeiter der schon sehr lange da ist, vielleicht schon länger als die Chefin selbst und mit großem Engagement, hoher Identifikation, hohem Selbständigkeitsgrad und weit entwickeltem fachlichen Niveau in seinem Verantwortungsbereich agiert, braucht eine völlig andere Ansprache durch seine Führungskraft als der Praktikant oder Berufsanfänger, bei dem die persönliche und berufliche Orientierung im Vordergrund steht.
Bei diesen beiden Rollen ist die unterschiedliche Bedarfslage und Erwartung an Führung offensichtlich, weil die beiden so sehr unterschiedlich aufgestellt sind, das kann man nicht übersehen. Aber es gibt auch feinere Abstufungen innerhalb der Mitarbeiterschaft und es macht Sinn, die eigene Sensibilität für diese Unterschiede zu schulen. Wer der Unterschiedlichkeit der Mitarbeitenden gerechter wird, führt besser.
Im Gegensatz zu universellen Führungstheorien, die davon ausgehen, dass Erfolg (Zielerreichung und Einflussnahme) oder Misserfolg von Verhaltensweisen sowie der Persönlichkeit der Führungskraft abhängen, gehen Situationstheorien (Hersey & Blanchard) der Führung davon aus, dass die Effizienz der Führung darüber hinaus auch von der Führungssituation und den sonstigen Rahmenbedingungen abhängt.
Grundannahme ist, dass es keinen für alle Führungssituationen identischen Führungsstil mit hohem Führungserfolg gibt, sondern dass für jede Führungssituation ein spezifischer Führungsstil erforderlich ist.
Nach Hersey & Blanchard ist neben der Führungssituation (z.B. Feuerwehrleute im Einsatz, Situation erfordert knappe Anweisungen) auch der „Reifegrad“ des geführten Mitarbeiters (unerfahrener vs. erfahrener Mitarbeiter; erfahrener, motivierter vs. unerfahrener, frustrierter Mitarbeiter) ausschlaggebend dafür, welches Führungsverhalten des Vorgesetzten erfolgversprechender ist. Sie unterscheiden zwischen einem mehr aufgabenbezogenen (z.B. klare Anweisungen und Erwartungen) und einem mehr personenbezogenen Führungsstil (guter persönlicher Kontakt, viel Unterstützung und Lob).
Eine weitere Perspektive bietet uns die Unterscheidung zwischen transaktionaler und transformationaler Führung. Mit transaktionaler Führung ist gemeint, die Interaktion zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden auf den Austausch von Leistung gegen Geld zu reduzieren. Dass diese krasse Komplexitätsreduzierung in keiner Weise den Bedarfen und Bedürfnissen sowohl der Mitarbeiter als auch der Führungskräfte gerecht wird, liegt nahe.
Mehr Potential wird nach Bernard Bass dem Prinzip der transformationalen Führung zugesprochen. Führungskräfte, die diesem Paradigma folgen, haben neben dem Austausch von Geld gegen Leistung gleichermaßen im Blick, sich um die intrinsische Motivation der Mitarbeitenden zu kümmern. Mitarbeitende, die in ihrer Arbeit Inspiration erfahren, sind zu anderen Leistungen bereit und in der Lage, als wenn es nur um Geld geht. Der Begriff Inspiration ist es wert, an dieser Stelle etwas näher in den Blick genommen zu werden, weil er im Kontext von beruflichem Tun wenig im Gebrauch ist und mehr im künstlerischen Kontext gesehen wird.
Ein Maler ist inspiriert, wenn er malt, eine Musikerin, eine Schriftstellerin, ein Tänzer. Und das war´s? Natürlich nicht! Joseph Beuys hat bereits 1985 mit seinem Satz: „Jeder Mensch ist ein Künstler.“ klar gemacht, dass jeder Mensch über schöpferische Kraft verfügt und zu Kreativität und Inspiration fähig ist. Warum also nicht im Job?
Führungskräfte, die transformational führen, unterstützen ihre Mitarbeitenden dabei, in Ihrer Tätigkeit eine Sinnerfahrung zu machen, dann entsteht Motivation und Inspiration von alleine. Damit Führungskräfte Mitarbeitende emotional erreichen und glaubwürdig sind, sollten sie allerdings selbst inspiriert sein und in dem was sie selbst tun und von anderen erwarten, einen Sinn sehen, der über materielle Interessen hinausgeht.
Intellektuelle Anregung ist ein weiterer Aspekt transformationaler Führung. Wir gehen davon aus, dass die meisten Menschen sich wohler fühlen, wenn sie in ihrer Arbeit gefordert sind, anspruchsvolle Ergebnisse zu erreichen und nicht nur „eine ruhige Kugel schieben“ wollen. Wenn dafür die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung stehen und Unterstützung eingefordert werden kann, sind Menschen grundsätzlich bereit, Leistung zu bringen. Das sehen wir bestätigt in den jährlichen Untersuchungen von Gallup, wo es um die Frage der emotionalen Bindung an das Unternehmen geht. Unter vielen anderen Faktoren führt ein hoher Anspruch an das fachliche Niveau der Arbeitsergebnisse dazu, dass Mitarbeitende sich emotional an den Arbeitsplatz, bzw. das Unternehmen gebunden fühlen.
Eigentlich klar und vor allem altbekannt und doch wird sie immer wieder adressiert, die Vorbildfunktion der Führungskraft. Vermutlich deshalb, weil sie von vielen Führungskräften in ihrer Bedeutung und Wirksamkeit immer wieder eklatant unterschätzt wird. Die Hierarchie mag so flach sein, wie sie will, wenn die Person die, formalisiert oder informell, in Führung ist, nicht ernst macht mit dem, was sie sagt klappt es nicht. Positiv formuliert bedeutet vorbildliches (im Wortsinn) Führen, durch Kalkulierbarkeit, emotionale Echtheit der Führungskraft psychologische Sicherheit zu schaffen und damit die Grundlage für engagiertes, selbstständiges Arbeiten und die Bereitschaft für eigenverantwortliches Handeln.
Transformationale Führung berücksichtigt nicht zuletzt den Bedarf und das Bedürfnis von uns Menschen, individuell beachtet zu werden. Das ist nicht wirklich neu. Vor dem Hintergrund, dass die Absolventen von Hochschulen und Ausbildungsstätten vermehrt darauf schauen, wo sie genau das finden, ist es allerdings moderner denn je und eigentlich „ganz einfach“. Führungskräfte brauchen dabei lediglich von dem auszugehen, was ihnen selbst guttut. Führungskräfte und Nicht-Führungskräfte haben -wer hätte das gedacht!- die gleichen emotionalen Bedürfnisse. Dazu zählen unter anderem, irgendwo dazu zugehören und gleichzeitig das Gefühl von Selbstbestimmtheit zu behalten, die Erfahrung zu machen, etwas richtig gut zu können, selbstwirksam zu sein und einen wichtigen Beitrag zu leisten und in Beziehung mit anderen zu sein, sich verbunden zu fühlen und gleichzeitig die eigene Individualität zu bewahren. Das sollten Führungskräfte von heute wissen und berücksichtigen. Der erste Schritt in diese Richtung besteht darin, sich dessen bewusst zu sein.