Dass Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen zu präventiven Maßnahmen zur Vermeidung von sexualisierter und nicht sexualisierter Gewalt verpflichtet sind, ist gesetzlich verankert. Die Einführung, stetige Überprüfung und Weiterentwicklung eines einrichtungsspezifischen Schutzkonzeptes sind somit obligatorisch. Bevor eine gemeinsame Haltung entwickelt werden und die Etablierung eines lebendigen Beschwerde Managements erfolgen kann, muss zuerst gemeinsam im Team eine umfassende Risikoanalyse durchgeführt werden.
Im Rahmen einer ganzheitlichen Risikoanalyse, die als elementarer Bestandteil eines Schutzkonzeptes dient, werden jegliche bestehenden Strukturen in Hinblick auf mögliche Risiken für Kinder, Jugendliche, Mitarbeiter*innen und Einrichtung analysiert und identifiziert. Ziel der Risikoanalyse ist es, die identifizierten Risiken in einem nächsten Schritt minimieren zu können oder gar ganz auszuschalten. Die Entdeckung der verschiedenen Risikokorridore und die teaminterne Auseinandersetzung bezüglich ihrer Vermeidung führen unweigerlich zu kontroversen Diskussionen. Die Offenlegung, der Abgleich und die Diskussion der unterschiedlichen Sichtweisen der Mitarbeiter*innen ist grundlegend und damit unverzichtbar für den Prozess der Risikoanalyse und der Konzeptionsentwicklung und verdeutlicht die Komplexität dieser Aufgabe. Dank der Risikoanalyse kann ein adäquater Weg zwischen fachlich-professioneller Skepsis einerseits und einer natürlichen Offenheit andererseits, vor allem innerhalb des Teams definiert und etabliert werden. Dieser komplexe Prozess führt zu einem einrichtungsspezifischen und vor allem weitgehend einheitlichen Verständnis z.B. von Nähe und Distanz. Er schärft zudem die Wahrnehmung und die professionelle Sensibilität aller Beteiligten.
Für die strukturierte Erstellung einer umfänglichen Risikoanalyse gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen. Eine wirksame Strategie besteht darin, z.B. anhand eines Tagesablaufes alle Interaktionen innerhalb bestimmter personaler Konstellationen in den Blick zu nehmen. Bei diesem Vorgehen werden alle Interaktionen, Räume, Situationen und Abläufe analysiert und im Hinblick auf die Fragestellung: „Wird in dieser konkreten Situation übergriffiges Verhalten ermöglicht oder gar begünstigt?“ diskutiert. Die verschiedenen personalen Konstellationen können untergliedert werden in
Bezüglich der Risikoanalyse im Hinblick auf Situationen zwischen erwachsenen Personen und jungen Menschen ist zu besprechen, wie Beziehungen zu den anvertrauten Kindern oder Jugendlichen von Seiten der Pädagog*innen gestaltet werden sollen. Hier sind folgende Leitfragen hilfreich:
Welche Kultur des Miteinanders wird in unserer Einrichtung gelebt und wollen wir das so?
Werden junge Menschen von uns auf irgendeine Weise unter Druck gesetzt?
Wie gehen wir mit pflegerischen Bedarfen unserer Kinder oder Jugendlichen um?
Haben wir ein sexualpädagogisches Konzept?
Wie gehen wir mit „Verliebtsein“ der Kinder und Jugendlichen um?
Grundsätzlich liegt die Verantwortung für die Beziehungsgestaltung zu den jungen Menschen immer und vollständig bei der Fachkraft, der erwachsenen Person. Es ist somit auch sehr wichtig, in der Risikoanalyse genau zu hinterfragen, welche Grenzen z.B. durch Kinder und Jugendliche überschritten werden, wie dies geschieht und wie damit professionell umgegangen werden kann.
Im Hinblick auf die Risikoanalyse bezüglich grenzverletzender Situationen auf Peerebene müssen auch kontrollfreie Räume in den Blick genommen werden. Tatsächlich erfolgt ein großer Anteil von Grenzverletzungen genau dort – zwischen den Kindern und Jugendlichen selbst. Es ist von enormer Bedeutung, dass die Einrichtungen eine Kultur des „Hinschauens“ schon in der Risikoanalyse etablieren, so dass eine gemeinsame Sensibilität entwickelt wird und somit Grenzverletzungen dadurch eher verhindert werden können.
Die Risikoanalyse ist eine Grundbedingung für ein nachhaltig wirksames Schutzkonzept und dient nicht nur dem Schutz von Kindern, Jugendlichen und Mitarbeiter*innen, sondern auch dem Schutz der Einrichtung selbst. Situationen in der Öffentlichkeit, wie zum Beispiel Exkursionen oder Ausflüge, sollten somit vorausschauend geplant werden. Aber auch Beschuldigungen von Mitarbeiter*innen oder der Umgang mit der Presse im Krisenfall werden in dieser Kategorie des Schutzkonzeptes behandelt.
Die Etablierung eines einrichtungsspezifischen Schutzkonzepts ist essentiell, um die Lebenswelt in der Einrichtung zu einem sichereren Ort zu gestalten. Im Sinne der professionellen Identität ist es die Aufgabe eines*r jeden Mitarbeiters*in, Verantwortung für den Kinderschutz zu übernehmen und den Kindern und Jugendlichen den Rahmen für ein gewaltfreies Aufwachsen und Lernen zu bieten.
Lesen Sie im nachfolgenden Whitepaper mehr über die komplexen Hintergründe, Grundlagen und Bedingungen eines Schutzkonzeptes, damit es wirklich einrichtungsindividuell entwickelt werden kann und tatsächlich seine Wirkung entfaltet:
Sollten Sie sich beim Lesen selbst gefragt haben, wie weit Ihre eigene Einrichtung auf dem Weg zur Umsetzung eines Schutzkonzeptes ist, können Sie hier einen kurzen Test herunterladen, indem Sie anhand von 20 Fragen einen Eindruck über den Stand Ihrer Einrichtung erhalten können: