Zu Beginn: Unternehmenswerte sind wichtig, denn sie bieten Orientierung.
Doch wenn Unternehmen beginnen, sich mit dem Thema Unternehmenskultur auseinander zu setzen, starten sie sehr oft mit Werte-Workshops, zu denen überwiegend die Top-Manager und manchmal weitere Führungskraft eingeladen sind. Hier werden dann bestimmte Werte definiert, nach denen das Unternehmen handeln soll.
Das Problem: Die Definitionen sind eine schöne Wunschvorstellung, meist sehr nebulös, sodass alle Führungskräfte sie abnicken, aber was völlig anderes unter den Werten verstehen. Genauso wenig, wie man eine Kultur aktiv gestalten kann, kann man einfach Werte entwickeln und diese dann versuchen mit Leben füllen. Ganz so einfach ist es in der Realität nicht.
Warum Unternehmen Werte und Prinzipien brauchen
Unser Bewusstsein, vor allem aber unser Unterbewusstsein, versucht ständig die beobachtete Außenwelt mit der erwarteten Innenwelt abzugleichen. Es erkennt Abweichungen und entscheidet mit welchem Verhalten auf diese Abweichung reagiert werden soll. Diese Entscheidungen werden aufgrund subjektiver Prioritäten und Überzeugungen getroffen, die aus Bedürfnissen, Absichten, Erfahrungen und Werten ständig aktualisiert und neu gewichtet werden.
Dieser mentale Prozess, der hier mal kurz angerissen wurde, ist sehr komplex und wird bis heute noch nicht in Gänze verstanden. Und doch trifft jeder Mensch einfach so mehr als 20 tausend Entscheidungen am Tag – meist ohne dass es ihm oder ihr bewusst ist.
Damit ein Unternehmen funktioniert und die Mitarbeiter im Sinne des Unternehmens Entscheidungen treffen können, benötigt es einen gemeinsamen Rahmen, an dem sich alle orientieren können. Dieser gemeinsame Rahmen ist eine gemeinsame Wertevorstellung, auch Kultur genannt. Laden Sie sich hier eine Übersicht herunter, in der die verschiedenen Aspekte der Unternehmenskultur zusammengefasst werden, um auf dieser Grundlage Kulturentwicklung neu denken zu können:
Deshalb scheitern Werte-Workshops:
1. Kultur entsteht aus Erfahrung
Sicher haben Sie schon einmal von dem Affen-Experiment gehört: Bananen, platziert auf einer Leiter, die mitten im Affenkäfig steht. Jedes Mal, wenn ein Affe versucht, sich eine Banane zu holen, werden alle anderen Affen mit Wasser bespritzt. Schnell erkennen alle den Zusammenhang und versuchen den Mutigen davon abzuhalten – auch mit Gewalt. Nun wird das Experiment verändert, ein Affe wird ausgetauscht. Sobald der neue Affe an die Bananen will erfährt die aggressive Reaktion und nimmt relativ schnell das Verhalten der anderen an. Selbst als alle Affen ausgetauscht sind: Das Verhalten wird fortgeführt. Sogar dann, wenn das Wasser nicht mehr zum Einsatz kommt.
2. Werte existieren bereits vorher
Das scheinbar Paradoxe ist, dass die Werte im Unternehmenssystem bereits bestehen bevor man sich damit explizit beschäftig. Sie können sich mit Händen und Füssen wehren: Doch seit Beginn an leben die Mitarbeiter in einem gemeinsam gestalteten Wertesystem und haben sich bereits an diese Kultur angepasst. Ein Workshop ändert das nicht. Denn die Workshopergebnisse werden durch die harte Immunabwehr der Organisation abgewehrt. Und das ist auch gut so.
3. Werteworkshops sind realitätsfern
Wenn Führungskräfte sich treffen, um die Werte zu definieren, dann passiert meist folgendes: Alle werfen ein, was ihnen persönlich wichtig ist. Beiträge anderer werden, zwar diskutiert, meist aber mit dazu genommen – denn es kostet ja nichts, diesen Wert auch noch mit aufzunehmen. Und vielleicht, wenn wirklich ernst gemeint, wird am Ende noch eine Wichtung vorgenommen. Die Reihenfolge wie die Werte zueinander in Relation stehen. Es ist sehr verführerisch zu glauben, man müsse sich nur hinstellen und die Werte erarbeiten. „So wollen wir sein, so wollen wir miteinander umgehen“. Es ist aber auch realitätsfern.
4. Werte können nicht einfach definiert werden
Werte sind nichts, was sich das Management oder irgendeine Agentur ausdenkt, ausarbeitet und dann an die Wand hängt. Auch nicht gemeinsam mit den Mitarbeitern. Denn eine Kultur kann so nicht effektiv gestaltet werden. Und doch wird es immer wieder versucht. Nachdem das Unternehmen sich auf das erstrebenswerte Mindset und die neuen Werte geeinigt haben, folgt die Enttäuschung. Kurze Zeit, nachdem die unterschriebenen Plakate mit den Werten ausgehangen wurden, wird die Kluft zwischen der proklamierten und der gegenwärtigen Kultur sichtbar. Oft bereits, bevor die bestellten Give-Aways und Kaffeetassen eingetroffen sind. Die Werte, die in einem Unternehmen an der Wand hängen, sind meist die, die dem Unternehmen fehlen.
5. Werte werden von jedem anders interpretiert
Kleines Experiment? Definieren Sie mal für sich, was sie unter einem dieser Werte verstehen: Liebe, Respekt oder einem anderen Ihrer Wahl. Und dann gehen Sie auf eine andere Person zu und fragen, was sie unter dem gewählten Wert versteht. Sie werden herausfinden, dass diese Person den Wert ganz anders für sich interpretiert und definiert. Das liegt daran, dass jeder Mensch andere Erfahrungen gamacht hat und dem Wert andere Deutungen zuschreibt. Und auch wenn es eine Übereinstimmung gibt, heißt das noch lange nicht, dass sie im Alltag gleich verhalten.
6. Werte-Workshops sind nicht nachhaltig
Werte werden vorgelebt. Sie werden in der gemeinsamen Interaktion subtil übermittelt. Daher lässt sich die Kultur vor allem über konsequentes Vorbildverhalten beeinflussen. Um neue Werte, Prinzipien und Verhaltensweisen langsam zu etablieren, sollte der Fokus immer wieder auf genau das Wünschenswerte verstärkt gelegt werden. Das ist ein längerer Prozess, der im Tagesgeschäft passieren muss, nicht im künstlichen Rahmen eines Workshops. Vor allem die aktuellen Führungskräfte, welche die bisherige Kultur prägten, brauchen für eine Anpassung ihres Verhaltens Unterstützung über einen längeren Zeitraum. Um die Kultur wirklich nachhaltig zu verändern, muss mehr passieren als nur ein oder mehrere Werte-Workshops. Das reicht nicht aus.
Die Werte eines Menschen beruhen auf subjektiven Erfahrungen und Erkenntnissen, entstanden in der Vergangenheit. Sie sind Abstraktionen dessen, was gelernt und für wichtig empfunden wurde, um selbstwirksam zu sein und zu bleiben. Und diese subjektiven Abstraktionen lernt jeder Mensch im Laufe des Lebens selbst. Das geht nicht auf Anweisung, sondern nur durch gemeinsame Erfahrung und Einsicht in der Interaktion mit anderen.
Die Kultur einer Organisation ist das gelebte Zusammenspiel vieler Werte, die in verschiedenen Kontexten unterschiedlich gewichtet werden. Etwas, was sehr komplex ist, und sich je nach Situation anders darstellt. Eine einfache Wenn-Dann-Definition, wie in den meisten Werte-Workshop erarbeitet, greift hier zu kurz und wird der Komplexität nicht gerecht.
Was aber möglich ist, Sie können Ihre aktuellen Werte messen und Ihre gelebte Unternehmenskultur transparent machen, um einen Diskurs anzustoßen, Maßnahmen abzuleiten und beginnen die Zusammenarbeit in Zukunft anders zu gestalten. Das ist ein erprobter, weil natürlich ablaufender Prozess, um neue, kulturbildende Erfahrungen im Unternehmen zu ermöglichen.