Tomas Schiffbauer Aug 20, 2019 2:47:00 PM Lesezeit 7 Minuten

DIGITALE TRANSFORMATION IN DEUTSCHLAND – 6 HANDLUNGSFELDER

Weniger als 15 Prozent der Unternehmen haben ihre Strategie zur Digitalisierung selbst entwickelt. Inzwischen mehren sich die Expertenaussagen, dass es keine Lösung ist, die Digitalisierung an externe Beratungen oder eingekaufte Chief Information Officer (CIOs) zu delegieren (Artikel im HBM 04/2019).

Die digitale Transformation und der damit verbundene radikale Kulturwandel können nur gelingen, wenn sie im Unternehmen von ganz oben gewollt und vorgelebt werden. Das Vorhaben wird scheitern, wenn das nicht sichergestellt ist und die Verantwortung auf externe Berater oder Interims-CIOs abgewälzt wird. Das kann ich aus eigener Praxiserfahrung bestätigen.

Die Aufgabe des Top-Managements ist es, als Rolemodel den neuen Weg und das neue Mindset mit Leben zu füllen. Weiterhin ist es die Verantwortung des Top-Managements, die eigenen Führungskräfte und Mitarbeiter gleichermaßen mit auf die Reise nach Digitalien (Danke für diese schöne Wortschöpfung. Sie ist nicht von mir. Ich kenne das Wort seit diesem Jahr. Das Buch „Notizen aus Digitalien: Tagebuch aus der digitalen Zukunft“ ist bereits im Februar 2014 erschienen) zu nehmen. Darin besteht die große Herausforderung. Denn nicht alle Führungskräfte und auch nicht alle Mitarbeiter werden von der Reise begeistert sein.

Die Aufgabe der Mitarbeiter wiederum ist es, sich an der Gestaltung der Reise aktiv zu beteiligen und sich einzubringen. Wenn dieses Zusammenspiel zwischen Top-Management, Führungskräften und Mitarbeitern gelingt und alle drei Seiten die mitunter auftretenden Zerreißproben überstehen, wird sich die Kultur und die Zusammenarbeit im Unternehmen nachhaltig verändern. Damit ist der Grundstock für die Zukunftsfähigkeit und den Umgang mit permanentem Wandel im digitalen Zeitalter gelegt.

Aus den Ergebnissen einer Studie der Hochschule Sankt Gallen, die im Artikel „Auf digitaler Mission“ in der April Ausgabe des Harvard Business Manager beschrieben werden, ergeben sich die folgenden sechs Handlungsfelder für das Top-Management.

  1. Digitalkompetenz im Top-Management aufbauen

  2. Moderne Führungskonzepte etablieren

  3. Lernagilität von Beschäftigten fördern

  4. Kundenkontakte in den Mittelpunkt stellen

  5. Beschäftigungsfähigkeit sichern

  6. Digitale Vereinsamung bekämpfen

Ja, die Verantwortung liegt beim Top-Management und dennoch wird es den wenigsten Top-Managern gelingen, nicht-vorhandene Digitalkompetenz in Eigenregie aufzubauen. Gleiches gilt für das Etablieren von modernen Führungskonzepten. Auch bei den weiteren vier Handlungsfeldern wird es ganz ohne fremde Hilfe schwer werden. Vielleicht ist die Erkenntnis, dass es fremder Hilfe bedarf und das Annehmen von Hilfe (und dann noch von außen) der erste Schritt im Kulturwandel. Dieser Schritt bedingt die Einsicht, dass nicht alles alleine gemacht werden kann - so wie in der Vergangenheit - und dass Perspektiven von außen eine Bereicherung darstellen sowie neue Sichtweisen eröffnen.

Wir haben für Sie einige Lösungsansätze für die sechs verschiedenen Handlungsfelder aus der Studie gesammelt:

1. Digitalkompetenz im Top-Management aufbauen

Hier führt kein Weg daran vorbei: Der zielsichere Umgang mit Methoden, Werkzeugen und Lösungen sowie die Auswahl von am Markt verfügbaren Lösungen und deren Benutzung, wird nur durch Coachings von Digitalexperten sinnvoll erfolgen können. So können Fragen wie „Wie bauen wir eine digitale Unternehmensstrategie auf?“, „Wie nutzen wir Social Media, um unsere Kunden in den Mittelpunkt zu stellen?“ oder „Wie erstelle ich einen Videopost, um die Mitarbeiter über den Zuschlag für ein wichtiges Großprojekt zu informieren?“ bis hin zu „Auf welchen Online-Marktplatz stellen wir unsere Produkte und Dienstleistungen ein?“ geklärt werden. Dadurch wird gleichzeitig der zukünftige Unternehmenserfolg sichergestellt und das Unternehmen nimmt keinen Schaden durch nicht-entscheiden oder unsachgemäßen Gebrauch eines Instruments.

 

2. Moderne Führungskonzepte etablieren

Vor dem Etablieren moderner Führungskonzepte steht das Erlernen und eigene Erleben. Jetzt mag der ein oder andere sagen: „Das kann ich mir auch durch lesen selbst beibringen …“ – da kann ich dann nur entgegenhalten: „Dann vergessen Sie Ihre Digitale Transformation“. Bei all den hier beschriebenen Handlungsfeldern geht es letztlich um Kultur, Haltung und Mindset. Das Mindset muss sich bilden, die Haltung ausgelebt und die Kultur zum Leben erweckt werden. Das geht nur dann authentisch, wenn Sie als Manager und Führungskraft den Schmerz und auch die Freude der Veränderung am eigenen Leib erlebt haben. Deshalb gilt auch hier: Die Verantwortung liegt beim Top-Management und bei den Führungskräften. Das nötige Wissen und die Lernerfahrung werden Sie nur über externe Coaches gewinnen.

 

3. Lernagilität von Beschäftigten fördern

Wenn Ihre HR-Abteilung oder Personalentwicklung sich schon als echter Business Partner in Ihrem Unternehmen positioniert und etabliert hat, so besteht die Chance, dass sie diesen Schritt durch die entsprechende interne Abteilung (egal welchen eindrucksvollen oder belanglosen Namen sie trägt) umgesetzt bekommen. Ist der zuständige Bereich, wie in den meisten Unternehmen (auch unabhängig von der Attraktivität des Abteilungsnamens) eine reine Verwaltung, wird es mit dem Fördern von Lernagilität der Beschäftigten schwer.

Die ersten beiden Schritte zielen auf das Top-Management und die Führungskräfte ab. Damit sollte zumindest der verantwortliche CxO und die Ressortleitung erste Erfahrung mit Lernagilität gemacht haben. Wie daraus ein Konzept für die Mitarbeiter erstellt werden kann, bleibt trotzdem eine Herausforderung. Obwohl durch moderne Führungskonzepte (2. Handlungsfeld) die Grundsteine für ein gemeinsames Erarbeiten eines Konzeptes mit den Beschäftigten und den Führungskräften gelegt sind. Ein Versuch ist es also wert. Frühes Scheitern, um daraus zu lernen, ist ebenfalls eine Komponente von modernen Führungskonzepten. Sollte es nicht gelingen, kann immer noch auf externe Hilfe zurückgegriffen werden.

4. Kundenkontakte in den Mittelpunkt stellen

Auf dieses Handlungsfeld zahlen ebenfalls Handlungsfeld 1 und 2 bereits ein. Der Einbezug von verschiedenen Perspektiven und arbeiten in heterogenen Teams hilft, den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. Der mutigste Schritt ist dann aber, den Kunden tatsächlich mit an Bord, ja, ins Unternehmen zu holen und als aktiven Teil des Teams zuzulassen. Das ist echter Kundenkontakt. So stellen wir den Kunden in den Mittelpunkt unseres Handelns. Methoden, die diese Art der Zusammenarbeit forcieren, sind beispielsweise integrale Produktentstehungsprozesse, wie sie das Modell „Vom Markt zum Markt“ (m2m) oder die Methode Design Thinking beschreiben. Auch ein echtes agiles Mindset (als Ergebnis aus Handlungsfeld 2), das im Unternehmen gelebt wird, zählt dazu.

 

5. Beschäftigungsfähigkeit sichern

In diesem Handlungsfeld sehe ich eine enge Verknüpfung mit Handlungsfeld 3 (Lernagilität von Beschäftigten fördern). Vorausgesetzt wir haben es geschafft, durch die Umsetzung der Handlungsfelder 1 (Digitalkompetenz im Top-Management aufbauen) und 2 (Moderne Führungskonzepte etablieren) einen guten Schritt in Handlungsfeld 3 voran zu kommen. Dann wird es ebenfalls gelingen, Handlungsfeld 5 zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit erfolgreich anzugehen. Zum einen werden in der deutschen Volkswirtschaft in den kommenden 5 bis 10 Jahren mehrere Millionen Erwerbstätige fehlen. Spätestens dann wird unsere Einstellung zum Thema Beschäftigungsfähigkeit ein gesamtgesellschaftliches Thema. Das hat den Vorteil, dass es Konzepte geben wird, die Unternehmen helfen, die Beschäftigungsfähigkeit zu sichern. Unabhängig davon und bevor wir uns nun zurücklehnen und auf fertige Lösungen warten, sollten wir mit den Erkenntnissen und Erfahrungen aus Handlungsfeld 3 gemeinsam mit Fach- und Führungskräften und den Mitarbeitern Anforderungsprofile für die Mitarbeiter der Zukunft erarbeiten. Diese mit den heutigen Kompetenzmatrizen (die ggf. erst noch zu erstellen sind) abgleichen und dann den Weiterbildungsbedarf für Mitarbeiter, Führungskräfte und das Top-Management ableiten. Natürlich immer gemeinsam mit den Betroffenen, also den Mitarbeitern. Versteht sich von selbst bei einem gelebten modernen Führungskonzept.

 

6. Digitale Vereinsamung bekämpfen

Digitale Arbeitsplätze und -welten ermöglichen viele Chancen, Beruf und Privatleben neu miteinander zu kombinieren und zu gestalten. Bei all dem Reiz dieser neuen Möglichkeiten bleibt ein Aspekt unserer Spezies unberührt: Wir sind und bleiben Sozialtiere. Wir wollen und brauchen Anschluss an Gemeinschaft und Sozialleben. In virtuellen Arbeitsumgebungen mit Homeoffice und virtuellen Projekträumen, oder realen Projekten nach dem „follow the sun"-Prinzip, ist es eine echte Herausforderung, dem Risiko der Vereinsamung entgegen zu wirken. Ein Aspekt der Lösung kann sein, dass wir echte Teams entwickeln bzw. den Menschen in den Unternehmen den Freiraum oder sogar den Spielraum geben, um echte Teams zu entwickeln. Das Top-Management steht dabei mit Rat und Tat zur Seite, denn es hat in Handlungsfeld 2 „Moderne Führungskonzepte etablieren“ gelernt, dass ein Top-Management-TEAM besser funktioniert und mehr bewirkt. Allemal mehr, als vereinzelte Menschen (und ja, Top-Manager sind ganz normale Menschen), die vielleicht noch auf der selben Etage sitzen.

 

Fazit:

Die Verantwortung für die digitale Transformation liegt ganz klar und ohne Zweifel beim Top-Management. Das Top-Management muss gemeinsam mit und unter Beteiligung der Fach- und Führungskräfte, also mit allen Mitarbeitern, diesen Wandel gestalten. Dabei geht es als gutes Beispiel voran und lebt vor, was von allen anderen erwartet wird. Die Grundlagen dafür bilden die Handlungsfelder 1 „Digitalkompetenz im Top-Management aufbauen“ und 2 „Moderne Führungskonzepte etablieren“ -  auf diesen beiden Themenblöcken bauen die weiteren Handlungsfelder auf.

Die methodischen Impulse, Inputs und Handlungsanweisungen werden in den meisten Fällen von externen Experten in die Unternehmen getragen. Optimal in Form von Coaching, um hierdurch dem Top-Management die Möglichkeit von Lernerfahrungen zu bieten. Der Ansatz von Coaching ist der vielversprechendste und geht noch über die aktuell beliebten Lernreisen (z.B. ins Silicon Valley) hinaus. Zumindest den Aspekt der Nachhaltigkeit und Anwendbarkeit des Gelernten betreffend. Damit versetzt sich das Top-Management selbst in die Lage, den Prozess im eigenen Unternehmen voranzutreiben und glaubwürdig zu vermitteln, worum es geht und wie sich echte Transformation anfühlt. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.

Ich möchte Ihnen zum Abschluss eine Case Study empfehlen, in der ein großes deutsches mittelständisches Unternehmen auf seine Antworten auf die VUCA-Welt untersucht wird - eine hilfreiche Einführung in die agile Zusammenarbeit.

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