Felix Pliester Jan 13, 2022 9:08:08 PM Lesezeit 6 Minuten

Wege aus der Zirkularitätslosigkeit

Hört sich Kreislaufwirtschaft nicht schön an? Lasst uns Müll vermeiden, indem wir Produkte reparieren oder sogar ganz recyceln bzw. Baugruppen so aufarbeiten, dass sie in einem neuem Produktkreislauf ein neues Leben gewinnen. Oder noch besser, wir besitzen die Produkte nicht mehr, sondern nutzen sie nur noch. Nutzen für den Konsumenten, Umsatz für das Unternehmen und kein Müll mehr für die Umwelt - da bin ich dabei. Auch der Gesetzgeber findet das, denn er fördert seit 2012 "die Schonung von natürlichen Ressourcen und den Schutz von Mensch und Umwelt bei der Erzeugung und Bewirtschaftung von Abfällen" mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz [1].

 

Die Zahlen zeigen: Recycling allein kann es nicht sein

Laut einer Studie [2]  vom Institut für Energie- und Umweltforschung liegt der Pro-Kopf-Rohstoffverbrauch in Deutschland bei 17t. Luftholen. Jeder von uns verbraucht 17t Rohstoffe pro Jahr. Etwa 1/3 der Rohstoffmenge wird importiert. Wie siehts mit der Zirkularitätsrate (Wiederverwendung aller eingesetzten Rohstoffe) aus? Deutschland liegt zwischen 33% bei Metallen und 2,5% bei fossilen Rohstoffen; im Durchschnitt bei 12% (zum Vergleich, die Niederlande bei 28%). In den letzten zehn Jahren gab es hier keine signifikante Veränderung. Aber es gibt doch viel Potenzial, oder? Würde Deutschland alle recycelbaren Abfälle recyceln, also ungeachtet dessen, wie kompliziert oder teuer es sei, alles wieder einzusammeln, zu trennen und zu recyceln, gäbe es ein theoretisches Potenzial von 22%. Klar, nicht alles wird sich recyceln lassen können, denn Rohstoffe verstecken sich in allerlei Produkten. Hier ein paar Potenziale auflisten, wo wir tatsächlich noch besser werden können: Gold aus Elektrogeräten 47% (heute 16%), Silber 54% (heute 13%), oder das Lithium-Nickel-Kobalt [3] für Lithium-Ionen-Batterien 40%.
Erstes Zwischenfazit:
     • Unsere Wirtschaft ist arg abhängig von Rohstoffen.
     • Potenziale im klassischen Recycling sind noch nicht ausgeschöpft. 
     • Es wird keine komplette Zirkularitätswelt geben. 
 
Bekanntermaßen hat sich der Rohstoffbedarf in Deutschland seit 1970 pro-Kopf verdreifacht, Tendenz steigend [4]. Dummerweise ist die Rohstoffverfügbarkeit endlich. Daher, behaupte ich, sind unerschlossene Zirkularitätspotenziale gleich auch unerschlossene Innovationspotenziale. In Kreisläufen denken, ist keine Raketenwissenschaft. Die drei magischen Zutaten dafür sind:
1. Wiederverwerten (recyceln
2. Weiterverwenden (reuse)
3. Weniger Verbrauchen (reduce)
 

Was bedeutet das für Unternehmen?

Recycling wird immer dann spannend, wenn die Kosten für Primärrohstoffe so hoch sind, dass der Aufbau der Recyclinginfrastruktur lohnt. Steigender Rohstoffbedarf und neue Technologien lassen auf bessere Recycling-Quoten hoffen. Spannend ist an dieser Stelle die Rolle des Geschäftskonzepts mit dem dahinterstehenden Produktdesigns. Nur wenn bereits bei der Produktgestaltung in einer Gesamtlösung gedacht wird, die spätere Wiederverwendung einschließt, können überhaupt Produkte erschaffen werden, die wirklich in Kreisläufen funktionieren. Klassischerweise verläuft der Weg des Produktes in einer linearen Wirtschaft wie folgt: Aus Rohstoffen werden Produkte, Produkte kommen in ein Handelssystem, dieses bringt es an den Kunden, und nach der Nutzung landet alles auf dem Müll. Mit einem Service- und Instandhaltungsangebot kann der Lebenszyklus des jeweiligen Produktes verlängert werden. Ein erster Kreislauf entsteht.
 
Ist das Lebensende des Produktes definitiv gekommen, stellt sich die Frage, was nun? Kann es aufgearbeitet und als Ganzes wieder an den Kunden kommen, quasi ein weiteres Leben erfahren? Man kennt es von Apple, wo beim Kauf eines Neuproduktes das alte Produkt gegen Rabatt mit eingereicht werden kann [5]. Dieses wird, solange es der Abnutzungsgrad erlaubt, wieder aufgearbeitet, d.h. Akku getauscht, gereinigt, etc. und als refurbished wieder in den Verkauf gegeben. Auch funktioniert der Fahrzeugmarkt nach diesem Muster. Ist ein Auto im einen Land an seinem Lebensende, erfährt es oft in einem anderen Markt ein weiteres Leben. Bei Zügen passiert das Gleiche. Spezifischer wird es dann, wenn das Produkt als Ganzes nicht mehr weiterverwendet werden kann, Teile davon jedoch sehr wohl. Diesen Fall nennt man Aufarbeitung bzw. Remanufacturing. Bei Baumaschinen erfährt die Antriebseinheit oft ein weiteres Leben, während der Rest verschrottet wird. Hier sind wir beim klassischen Recycling angekommen. Das Produkt wird in seine materiellen Einzelteile zerlegt, die dann so aufgearbeitet werden, dass sie als Rohstoffe wieder zur Verfügung stehen.
 

Bisher alles bekannt. Wo sind die Innovationen?

Tatsächlich sind die genannten Ansätze für Unternehmen fast so alt, wie Produkte selbst. Wo ist nun das Innovative am Denken in Kreisläufen? Ich sehe zwei große Ansatzpunkte.
 
Der erste liegt in der Haltung. Stimmt die Hypothese, dass steigender Bedarf die Anzahl an kritisch notwendigen und zugleich knapper werdenden Rohstoffen vergrößert, dann muss ein gewaltiges Potenzial in der Wiederverwendung bereits gebundener Rohstoffe liegen. Das fordert einerseits Produktdesign und Recyclingtechnologien, diese Rohstoffe so isolieren und aus den Produkten herauslösen zu können, dass ein gutes Recycling möglich ist. Spannend finde ich an dieser Stelle das Gedankenspiel nicht vom Rohstoff, sondern vom Müll her gedacht. Welcher heute als Müll klassifizierter Abfall ist in Wahrheit eine Goldgrube? Damit meine ich nicht nur Papier und Metall, sondern auch Abfälle, die noch gar nicht im Fokus von Recycling liegen, wie beispielsweise CO2. [Erste Versuche in Deutschland zur Nutzbarmachung von CO2 im industriellen Sektor laufen bereits [6]. Hier schlägt man mehrere Fliegen mit einer Klappe. Da die größten CO2-Emittenten in Deutschland Kohlekraftwerke sind, könnte diesen neben der Funktion der Energie- und Wärmeproduktion zukünftig auch die Produktion von Kraftstoff zukommen. 
Innovationsmanagement
 Abb.1: Circular Economy, Quelle: eigene Darstellung

Das Prinzip "Verkaufen" abschaffen?

Ein zweiter Ansatzpunkt liegt darin, das Prinzip "Produkt verkaufen" neu zu denken. Stellen wir uns vor, es wird lediglich die Benutzung verkauft, die Eigentumsverhältnisse bleiben dagegen bestehen, ganz im Sinn des Trends "Nutzen statt Besitzen". Statt Autos kauft der Kunde Mobilität, statt Bohrausrüstung gibt es kostenplanbare Bohrlöcher, und statt der Belieferung von Schiffen kauft der Kunde eine Garantie, dass alle benötigten Gegenstände an Board sind. So, wie das bei Software quasi schon lange passiert. Hier hieß es vor fünfzehn Jahren SaaS - Software as a Service. Der Moment, wo wir aufgehört haben CDs zu kaufen und anfingen, Abo-Pläne im Internet zu nutzen. Warum sollten wir das tun? Weil einerseits ganz neue Geschäftsmodelle entstehen und andererseits eine neue Art von Produkten. Klar: Lebe ich davon, dass meine Produkte möglichst lange auf dem Markt angeboten werden, setze ich den Fokus anders, als wenn mein Geschäftsmodell darauf beruht, im Rhythmus von x-Monaten mein Produkt erneut zu verkaufen. Nur: Was mache ich als Unternehmer, wenn der Markt gesättigt ist? Wenn der x-te Produktzyklus nur einen so geringen Anreiz bietet, dass die Kunden ausbleiben? Wenn mein Produkt quasi fertig entwickelt ist? Wenn ich aus der Spirale des immer günstiger ausbrechen will? 
 

Herausforderungen beim "Nutzen statt Besitzen"

Das Denken in Gesamtlösungen, bei denen der Kunde nicht kauft, sondern für das Nutzen bezahlt, helfen hier weiter. Die große Herausforderung dabei ist der Geldfluss. Einleuchtend: Wenn ich ein Auto verkaufen, bekommen ich - vereinfacht gesagt - ab diesem Zeitpunkt alle Kosten gedeckt, mit einem Deckungsbeitrag noch oben drauf. Das Risiko liegt mit Unterzeichnung des Kaufvertrags mehr oder weniger beim Kunden. Als Unternehmer*in muss ich nur warten, bis der Kunde eine neue Kaufentscheidung trifft. Anders sieht es aus, wenn ich das Produkt gar nicht verkaufe, sondern zur Nutzung bereitstelle. Hier sind meine Kosten erst nach einer Weile gedeckt. Bis auf weiteres muss ich als Unternehmer das Risiko tragen. Dafür erwirtschafte ich im besten Fall jedoch über den gesamten Produktlebenszyklus (!) Umsatz. Meine Kund*innen können sich wiederum ganz auf ihre Kerntätigkeit fokussieren, müssen sich nicht um das Produkt kümmern sondern es direkt nutzen.
 
Voraussetzung: Meine Selbstwahrnehmung als Unternehmer muss sich vom reinen Hersteller zum Dienstleister verschieben. Und vielleicht entstehen dabei "nebenbei" ja noch weitere Ideen? Beispiel Tesla, die aus zurückgegebenen Leasing-Fahrzeugen eine autonome Taxiflotte aufbauen wollten[7]. Genau dieser Punkt war zentrales Thema im Seminar "How to Geschäftsmodelle 2021 - Bedürfnisse verschieben sich - Geschäftsmodelle werden zirkulärer", dass Sie hier online kostenlos anschauen können:
 
Neuer Call-to-Action
  
[6] https://www.umsicht.fraunhofer.de/de/forschungslinien/kohlenstoffkreislauf.html
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Tesla-verkuendet-eigene-autonome-Taxi-Flotte-fuer-2020-4404412.html