Paula Bemmann-Wöschler Dec 3, 2022 11:08:29 AM Lesezeit 7 Minuten

Aktives Zuhören - Was wir von Momo lernen können

„... Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: zuhören. Das ist nichts Besonderes, wird nun vielleicht mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen. Und so wie Momo sich aufs Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig. 

Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte, nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und Anteilnahme. Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an und der Betreffende fühlte, wie in ihm auf einmal Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, dass sie in ihm steckten. 

Sie konnte so zuhören, dass rastlose oder unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie wollten. Oder dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden. Und wenn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt und bedeutungslos und er selbst nur irgendeiner unter Millionen, einer, auf den es überhaupt nicht ankommt und der ebenso schnell ersetzt werden kann wie ein kaputter Topf – und er ging hin und erzählte alles das der kleinen Momo, dann wurde ihm, noch während er redete, auf geheimnisvolle Weise klar, dass er sich gründlich irrte, dass es ihn, genauso wie er war, unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab und dass er deshalb auf seine besondere Weise für die Welt wichtig war. So konnte Momo zuhören! ...“ 

Ich war tief berührt und begeistert von der Aufmerksamkeit und Wertschätzung, die das kleine Mädchen Momo ihren Zuhörern entgegenbrachte, als ich Michael Endes Märchenroman meinen Kindern vorlas. Momo ist so präsent bei ihrem Gegenüber, dass sie in seine Gefühls- und Gedankenwelt eintauchen und „mitschwingen“ kann. Momo drängt nicht, Momo gibt keine Ratschläge, Momo bewertet und verurteilt nicht. Sie schweigt, wartet und zeigt mit ihrer ganzen Körpersprache ihre Bereitschaft, ganz für den anderen in diesem Moment da zu sein.  

Sehnsucht nach einer Zuhörerin wie Momo sehe ich gleichermaßen oft in den Augen von Führungskräften und Mitarbeitenden, wenn sie mir über ihre Probleme im Arbeitsalltag, über das Nichtverstehen-Wollen der anderen oder über die Nicht-Anerkennung ihrer Leistungen berichten. Hin und wieder hätten sie schon einmal versucht, sich auszusprechen oder eine noch unfertige Idee zur Diskussion zu stellen im Gespräch mit Kolleg*innen oder ihren Chef*innen. Es prasselten nicht selten Rat-Schläge, unpassende Meinungen oder ungeduldige Statements auf die/den Erzählende/n nieder, die sie/er dann abwehren, dementieren oder deren Unbrauchbarkeit erklären musste. Manchmal hatten die Entgegnungen gar nichts mit dem eben Gesagten zu tun oder die/der Zuhörer*in hatte urplötzlich aufgehört zuzuhören und die Gelegenheit einer Atempause zum aus Erzählersicht unerwünschten Rollentausch genutzt.  

Die Sehnsucht verwandelt sich nicht selten in Resignation sobald wir auf Arbeitsmeetings, Teambesprechungen oder gar Präsentationen in Gremien des Managements zu sprechen kommen. Wer in diesen Runden gerade selbst nicht das Wort hat, ist in die Abarbeitung des eigenen Mailaufkommens an seinem mitgebrachten Laptop vertieft, plant und strukturiert die anstehenden Tätigkeiten des nächsten Tages oder prüft die Argumentationskette für eigene Vorschläge im Kopf noch einmal auf Stringenz und lauert mit den Ohren lediglich auf eine Sprechpause zum eigenen Einsatz.  

Mal abgesehen davon, dass man sich solch frustrierende Gespräche und ineffektive Meetings, in denen keine/r keiner/m wirklich zuhört, besser sparen kann, ist es für mich ein faszinierendes Phänomen immer wieder mitzuerleben, wie wir uns alle auf der einen Seite nach der Anerkennung, Wertschätzung und dem tatsächlichen Interesse anderer an uns und an dem, was wir tun, sehnen und auf der anderen Seite selbst doch immer wieder in die Falle laufen, Wichtigeres zu tun zu haben, als Interesse und Wertschätzung an den Belangen oder Ausführungen anderer zu zeigen. Wir enthalten selbst anderen vor, was wir uns so sehr von ihnen wünschen. Meist ist es uns gar nicht bewusst, es passiert uns einfach, auch wenn die/der Geprellte uns unter Umständen Böswilligkeit oder Selbstdarstellung unterstellt. 

Erst neulich klingelte das Telefon mitten in einem genialen Gedankengang – mein Kollege rief mich an, ob ich denn meinen Artikel rechtzeitig fertig bekomme und wenn ja, ob ich noch das eine oder andere... Krampfhaft versuchte ich mich parallel an meinen genialen Gedankengang zu klammern, um ihn ja nicht wieder zu verlieren, höflich genug auf meinen Kollegen einzugehen, aber dennoch konsequent lösungsorientiert zu kommunizieren, dass ich so schnell wie möglich unser Gespräch beenden und mich wieder meinem genialen Gedankengang widmen kann. Nach dem Auflegen fehlten mir je eine Hälfte des genialen Gedankengangs sowie des Gesprächsinhaltes. Mein letztes „Das finde ich ja gut!“, hallte noch in meinen Ohren nach, obwohl ich gar nicht wusste, was ich da gut fand, weil ich schon mindestens zwei Minuten bei meinen eigenen Gedanken statt denen meines Kollegen war. Nun plagt mich das schlechte Gefühl, meinen Kollegen ungewollt vor den Kopf gestoßen zu haben. Dabei regt es mich selbst tierisch auf, wenn ich ihn begeistert von etwas erzähle und gleichzeitig hören muss, wie er gerade etwas auf seine Tastatur hämmert. Dann frage ich mich manchmal, ob sein „Das ist aber toll!“ nicht auch nur so daher gesagt ist. 

Momo schenkt den Menschen, die zu ihr kommen, ihre Zeit, nimmt Anteil und zeigt ein echtes Interesse an deren Ausführungen. Auf diese Weise schafft sie eine offene und vorbehaltlose Gesprächsatmosphäre ohne Druck aufzubauen, in der ihr Gegenüber die Sicherheit spürt, sich zeigen zu können, wie sie/er ist und sagen zu dürfen, was sie/er denkt. Indem die Einzelnen einfach sprechen „wie ihnen der Schnabel gewachsen ist“, erkennen sie ihre Probleme selbst, finden eigene Lösungen und sind motiviert, die dafür notwendigen Schritte zur Umsetzung einzuleiten. Damit ist eine wichtige Voraussetzung für die eigene psychische Reifung und die Entwicklung einer größeren Selbstsicherheit und Unabhängigkeit gegeben. Momo hat das Zeug zur Führungskraft und wäre ein idealer Coach für ihre Mitarbeiter*innen. Denn auch wenn wir nicht wie Momo werden können, können wir doch von Momo lernen und beständig an unserer eigenen Weiterentwicklung arbeiten. Erfahren Sie in dem folgenden Video, wie Sie alte Systeme und Muster aufbrechen können, um sich auch als Fach- oder Führungskraft im Unternehmen beständig weiterzuentwickeln.

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Es wäre unmenschlich von sich und anderen zu verlangen, immer so gut wie Momo zuhören zu können. Für die Zukunft wünsche ich Dir und mir jedoch viele kleine und große Momente, in denen wir der Momo in uns und in anderen begegnen. Erzählen Sie mir gerne von Ihren Momenten!

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Eingangszitat aus: Ende, Michael (2005). Momo oder Die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte. Ein Märchen-Roman. Schulausgabe mit Materialien (S. 14-15). Erstausgabe 1973. Stuttgart, Wien: Thienemann. – Ein Buch, wieder aktueller denn je.