Vor zwei Jahren erst habe ich mir ein neues Auto gekauft. Aber damals war noch alles anders. Ein gebrauchter Audi A3 sollte es werden, den überwiegend meine Frau nutzen sollte. Heute überlege ich, wie wir in Zukunft unsere Mobilität gestalten sollten. Am Fuße der Schwäbischen Alb leben wir in einer kleinen Stadt, die ca. 20.000 Einwohner zählt. Da auch die nächste Kreisstadt nicht fern ist, können wir viele Dinge zu Fuß erledigen. Und seit dem letzten Jahr hat auch das zuvor große Argument „Pendeln zum Arbeitsplatz“ an Wirkkraft verloren. So können wir beide von zuhause arbeiten, und auch die Erziehung unserer kleinen Tochter teilen wir auf. Aus dieser Position - zugegeben eine, die nicht jeder hat - stelle ich mir nun die Frage: Brauchen wir unser Auto noch? Oder sollte ich in Zukunft gar ganz darauf verzichten?
Unumstritten ist, aus meiner Sicht: Der Wandel in Bezug auf die Mobilität ist in vollem Gange. Vielmehr haben wir viele verschiedene Probleme (die nicht unumstritten sind?): Der Klimawandel, krasser gesagt die Erderhitzung, das Artensterben, die Vermüllung der Ozeane und viele andere vergleichbare Veränderungen, die uns sagen: So, wie wir - erfolgreich - die Dinge bisher gehandhabt und auch gewirtschaftet haben, können wir nicht weitermachen.
Unsere ER-VOLKSwirtschaft
Das große Ziel unserer Volkswirtschaft: immer mehr Wachstum erzielen. Dieses Wachstum führt zu einer immer größeren Menge an Waren und Produkten, die leider oft nicht für eine Kreislaufwirtschaft konzipiert und damit zulasten unserer Umwelt hergestellt werden. Gleichwohl leben wir in einem extrem erfolgreichen Typus von Gesellschaft. Einer demokratischen Gesellschaft mit einem (vor Corona) sehr niedrigen Stand an Arbeitslosigkeit und viel Wohlstand (im Vergleich zu anderen Ländern). Wir leben so, wie unsere Urgroßeltern es sich nicht hätten vorstellen können. Wir leben doppelt so lang wie vor hundert Jahren, erfreuen uns großer Gesundheit. Leider, so wissen wir heute, geht dieser Erfolg zulasten unserer Umwelt und der Natur. Die Frage ist also: Wie kann man diesen Erfolg fortsetzen, ohne dabei weiterhin die Natur zu zerstören?
Als Change-Experte weiß ich:
Erfolg ist eine Falle. Wenn man erfolgreich ist, und das über Jahrzehnte, hat man gar kein Interesse, keine Lust, kein Motiv, keine Vorstellung davon, dass jetzt etwas anders gemacht werden sollte. Und dann kommt von anderen der Ruf nach Verzicht. Was vielleicht idealistisch gesehen der bessere Weg ist. Aber, „What the f***, ich habe mir das hart erarbeitet und möchte das jetzt auch genießen…“. Ich gebe zu, dieser Gedanke kommt mir auch immer wieder in den Kopf. Und ich glaube keiner möchte gern verzichten. Doch auf was verzichten wir eigentlich? Müssen wir in Zukunft auf etwas verzichten, wenn wir heute etwas verändern? Oder: Verzichten wir nicht schon heute auf unheimlich viel, weil wir uns bisher nicht verändert haben?
Verzicht! Wer verzichtet denn eigentlich und worauf?
Ein Beispiel sei hier die Stadt: Die Mieten und Quadratmeterpreise sind in der Stadt viel zu teuer, die Bodenpreise fast unbezahlbar. Ein 40 Jahre altes Einfamilienhaus (Effizienzklasse F) verkauft sich in meinem Heimatort mittlerweile für 700.000 Euro. Und gleichzeitig redet kaum einer darüber, dass wir in Deutschland Städte haben, in denen 50% der Stadtfläche für Autoverkehr vorgesehen ist, also Straßen, Parkhäuser und Parkplätze, Unterführungen und Überführungen. Wir leisten es uns also, diesen wertvollen Raum den Autos zur Verfügung zu stellen. Aber ist das richtig? Warum verzichten wir auf diesem Raum? Warum verzichten wir auf Ruhe, auf gesunde Luft, auf die Sicherheit für unsere Kinder? Warum auf eine Verbesserung ländlicher Räume, mit einem besseren öffentlichen Verkehr? Und warum auf viele andere Dinge, die uns das Leben leichter machen könnten?
Erfolgsfaktor: Attraktivität der Treiber
Diese Geschichte sollte nicht rein als Negativgeschichte erzählt werden. À la: „Da gibt’s den Klimawandel, da gibt’s das Artensterben, deshalb MÜSSEN wir uns JETZT verändern und vom Gewohnten weg kommen. Wollen wir die Dinge wirklich nachhaltig verändern, ist es schlauer, die positive Perspektive einzunehmen und zu überlegen, wo Veränderung im Sinne von „hin zu“ etwas (z.B. einer gesünderen Natur) möglich ist, weil wir Lust darauf haben und andere so mit auf die Reise nehmen können. Schon Jahre, ja, Jahrzehnte sprechen wir in der Politik über diese Veränderung. Mittlerweile rückt sie immer mehr in den Fokus unserer Gesellschaft. Wir sind immer mehr davon überzeugt, dass etwas getan werden muss. Friday‘s for Future ist ein Beispiel dafür, wie sich dieses neue Bewusstsein gesellschaftlich entlädt. Doch werden immer wieder Klimaziele postuliert - und immer wieder nicht erreicht. Nach Greta nur „Bla Bla“ statt wirklicher, vor allem wirkungsvoller, Handlungen. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass wir laut Transformationsforscher Prof. Harald Welzer (Soziologe und Sozialpsychologe) in einer widersprüchlichen Situation sind: Wir haben zum einen daran Interesse, den Klimawandel zu stoppen. Zum anderen wird uns (imperativisch!) ein Lebensstil nahegelegt, der genau zu den vorhandenen Klimaproblemen führt.
Das Paradoxon unserer Kultur
Das Paradoxe daran ist, dass auf einen solchen Lebensstil ausgerichtete Aktivitäten, die heute das Klima negativ beeinflussen, kein Problem darstellen würden, wenn nur eine Person sie unternehmen würde. Dinge, die an sich für Einzelne von uns gut sind - von der persönlichen Kommunikation über Wissenschaft und Bildung bis hin zu kulturellem Austausch - werden dann plötzlich zu einem Problem, wenn sie alle tun können und tun. Die ach so guten Ideale, die unser aufgeklärtes Europa ausmachen, werden, wenn dies alle tun, zum Bösen und kristallisieren sich immer häufiger als Klimakiller heraus. Das Reisen zum Beispiel fördert den interkulturellen Austausch, doch macht es jeder Mensch der Erde, belasten wir die Umwelt viel zu sehr.
Der größte Treiber
Ich weiß leider nicht mehr, wer mir einmal folgenden weisen Satz sagte: Egal, wozu du JA sagst, zu allem anderen sagst du gleichzeitig NEIN. Für mich birgt dieser Satz eine unglaubliche Kraft: Es geht also immer um persönliche Entscheidungen! Und unserem Bewusstsein darüber, welche Konsequenzen diese haben. Rückblickend hat sich in den letzten zwei Jahren einiges verändert. Und für mich ist heute eines klar: Wenn sich mir im nächsten Jahr wieder die Mobilitätsfrage stellt, werde ich mich anders entscheiden, ein anderes flexibleres und nachhaltigeres Mobilitätskonzept wählen und mir kein „neues“ gebrauchtes Auto mehr leisten wollen.
Wie wirst Du Dich in Zukunft entscheiden?
Wir haben diese Frage auf unserer Online-Veranstaltung, dem Mobility Innocube mit vielen hochkarätigen Gästen aus verschiedenen Bereichen der Wirtschaft und Politik in spannenden Debatten und Vorträgen diskutiert und betrachtet. Ich möchte Sie herzlich dazu einladen, sich die Seite mit den gesammelten Vorträgen und Diskussionen anzuschauen.