Claudia Weyrauther Mar 10, 2022 7:30:00 AM Lesezeit 7 Minuten

Digitaler Minimalismus - Gesunde digitale Führung

Ganz oder gar nicht ist oft die Devise, wenn es um neue Management-Ansätze geht. Das gilt derzeit auch für die eine große technische Umwälzung, in der wir uns befinden: Digitalisierungs-Freaks und -Skeptiker fechten einen nicht selten dogmatischen und daher unfruchtbaren Kampf um die eigenen Extrempositionen aus. Die gute Nachricht jedoch ist: Immer mehr Menschen bemühen sich um einen ausgewogenen Umgang mit der neuen Technologie, die gerade in der Pandemie unser (Arbeits-)Leben mit einem Paukenschlag verändert hat. Die Zeit, die hinter uns liegt, hat uns die Vorzüge der Digitalisierung eindeutig vorgeführt.  

Und ihre Nachteile. Von „digitalem Burn-Out ist immer häufiger die Rede, auch wenn dieser Begriff von der Fachwelt noch nicht offiziell abgesegnet wurde. Dennoch:  Dauererreichbarkeit, -vernetzung und -informationsberieselung scheinen zu einer immer flächendeckenderen Ermüdung zu führen. Im Gegenzug geht der Begriff Digital Detox um, die psychisch-mentale Entgiftungvom exzessiven Gebrauch digitaler Geräte und Medien“*. Die Erkenntnis sickert immer mehr durch: Der Schwanz sollte weniger mit dem Hund, als vielmehr der Hund mit dem Schwanz wedeln. Sprich, es wird Zeit, dass wir unsere eigene Erfindung bewusst steuern und nicht sie uns; dass wir ihre Nutzung an unsere Bedürfnisse anpassen.  

Digitale Belastungsfaktoren in der Arbeit 

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Forschungs- und Entwicklungsprojekt „PräDiTec - Prävention für sicheres und gesundes Arbeiten mit digitalen Technologien“ konnte 2021 in einer großen Studie zwölf verschiedene Belastungsfaktoren der digitalen Arbeit identifizieren, die allesamt menschliche Bedürfnisse frustrieren:  

  1. Leistungsüberwachung: das Gefühl, dass durch die Nutzung von digitalen Technologien und Medien Leistungsüberwachung und -bewertung zunehmen.
  2. Gläserne Person: das Gefühl, dass die Nutzung digitaler Technologien und Medien die Privatsphäre verletzt. 
  3. Unzuverlässigkeit: das Gefühl, dass die verwendeten digitalen Technologien und Medien unzuverlässig sind und nicht ihrer Aufgabe gerecht werden.
  4. Unterbrechung: das Gefühl, dass es durch die Nutzung von digitalen Technologien und Medien vermehrt zu Ablenkungen oder Unterbrechungen kommt.
  5. Überflutung: das Gefühl, aufgrund des Einsatzes digitaler Technologien und Medien mehr und schneller arbeiten zu müssen.
  6. Verunsicherung: das Gefühl, dass die eigenen Fähigkeiten aufgrund ständiger Wechsel und Änderungen der digitalen Technologien und Medien regelmäßig weiterentwickelt werden müssen. 
  7. Nicht-Verfügbarkeit: das Gefühl, dass die benötigten digitalen Technologien und Medien nicht zur Verfügung stehen.  
  8. Unklarheit der Rolle: das Gefühl, dass mehr Zeit in die Lösung von Problemen mit digitalen Technologien und Medien investiert werden muss als in die eigentliche Arbeitstätigkeit.
  9. Komplexität: das Gefühl, dass die hohe Komplexität digitaler Technologien und Medien die eigenen Fähigkeiten übersteigt und diese nur schwer aufgebaut werden können.
  10. Omni- und Dauerpräsenz: das Gefühl, dass sich durch die Nutzung digitaler Technologien und Medien die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben zunehmend auflösen und damit eine ständige Erreichbarkeit und eine kürzere Reaktionszeit einhergehen.
  11. Jobunsicherheit: das Gefühl, dass der Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund von Automatisierung oder mangelnder Kompetenz im Umgang mit digitalen Technologien und Medien droht. 
  12. Mangelndes Erfolgserlebnis: das Gefühl, kaum Arbeitsfortschritte bzw. -erfolge zu erzielen, da diese bei der Nutzung digitaler Technologien und Medien wenig wahrnehmbar sind. 

    Erwartungen an Digitale Führungskräfte   

Digitale Führungskräfte sollen im Zusammenhang mit der Digitalisierung  

  • andere durch das eigene Vorbild motivieren,  
  • „evangelisieren“, d.h. die Vorteile und Chancen der Digitalisierung im Unternehmen bekannt machen, 
  • die digitalen Skills und Qualifikationen der Mitarbeitenden fördern sowie 
  • die unternehmensweite Digitalisierungsstrategie ihres Unternehmens mit um- und durchsetzen. 

Das ist durchaus legitim. Führungskräfte - und Unternehmen - haben aber auch die Aufgabe, für das physische und psychische Wohlbefinden der Menschen zu sorgen, die sie führen. Die oben aufgeführten Stress-Faktoren und ihre Auswirkungen unterstreichen: Führungskräfte - und Unternehmen - haben deshalb die wichtige und dringende Aufgabe, dem Thema Digitale Gesundheit sehr bewusst hohe Priorität einzuräumen und künftig genau abzuwägen, welches Ausmaß und welche Form der Digitalisierung für das System Organisation UND das System Mensch von Vorteil und wertvoll sind.  

Digitaler Minimalismus - bewusste und gezielte technische Nutzung 

Digitaler Minimalismus - das bedeutet nicht die Verweigerung der Digitalisierung. Vielmehr ist es ein neuer hilfreicher Ansatz, der wertvolle Orientierung für den Umgang mit den zukünftigen digitalen Entwicklungen bietet. Cal Newport, außerordentliche Professor für Informatik an der Georgetown University, beschreibt Digitalen Minimalismus als eine Philosophie der Technologie-Nutzung, in der Online-Arbeit bewusst auf eine kleine Menge sorgfältig ausgewählter und optimierter Aktivitäten reduziert wird, die am effektivsten zu Erfüllung der wertschöpfenden Aufgaben beitragen. Ist eine digitale Aktivität nicht die bestmögliche Lösung zur Sicherstellung von Wertschöpfung, wird sie entweder optimiert - oder guten Gewissens fallengelassen.  

Führungskräfte, die sich dem Digitalen Minimalismus (im Gegensatz zum digitalen Maximalismus) verschreiben, „zäumen“ daher „das Pferd“ sozusagen immer von der Seite der Wertschöpfung und nie von der der technischen Möglichkeiten auf. Es ist genau diese Haltung fortlaufender, kritischer Überprüfung und konsequenter Korrektur digitaler Anwendungen, die die Belastung durch digitale Arbeit geringhält und Ressourcen stärkt. Und dauerhaft für den Erhalt der Gesundheit, Arbeitszufriedenheit und Leistung Einzelner und des gesamten Teams sorgt. 

Wie Sie als Führungskraft für sich und Ihr Team den oben beschriebenen Belastungsfaktoren konkret entgegenwirken können, erfahren Sie in unserem Download „Digitalen Stress vermeiden, Gesundheit erhalten - ein Maßnahmenkatalog“.  

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