Wachstum als Prinzip in der Natur
Viele Themen werden in der aktuellen Debatte stark zugespitzt: Umwelt oder Wirtschaft, Innovation oder Verzicht, Verbote oder Eigenverantwortung! Sind ein Dazwischen, sind Kompromisse nicht mehr denkbar? Helfen uns solche Antipoden in der komplexen Welt, in der wir leben, wirklich weiter? Gibt es wirklich nur Entweder/Oder, dafür oder dagegen?
Die Welt basiert auf dem Prinzip Wachstum. Das gilt nicht nur für unser Wirtschaftssystem, sondern für die Welt als Ganze. Pflanzen, Tieren, allen Lebewesen ist das Wachsen immanent. Würde dieses Prinzip in der Natur wegfallen, würde nichts mehr funktionieren. Keine Jahreszeitenwechsel, keine Aufforstung, keine Landwirtschaft, aber eben auch keine wirtschaftliche Entwicklung.
Wachstum braucht Grenzen
Der entscheidende Zwiespalt steckt also in der Überlegung, wie eine Welt mit und ohne Wachstum aussehen könnte. Oder welches Maß an Wachstum die Welt verkraften kann. Denn natürlich steht außer Frage, dass die Welt, dass die Ressourcen begrenzt sind. Und das ist wahrlich keine neue Erkenntnis. Der Club of Rome hat dies bereits 1972 in seinem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ sehr klar formuliert. Seit 50 Jahren wissen wir also: Ein Wachstum ohne Grenzen ist nicht möglich – weder in der Natur noch in der Wirtschaft. Aber wer setzt die Grenzen im kapitalistischen Wirtschaftssystem, denen es daran in den vergangenen Jahrzehnten definitiv mangelte?
Die „alte“ Überzeugung, dass der Markt schon alles regeln wird, klingt vor diesem Hintergrund so überholt, wird aber immer noch von vielen hochgehalten. Aber steckt darin nicht trotzdem ein Fünkchen Wahrheit? Noch stärker überspitzt könnte man formulieren: Die alten weißen Männer und ihr überholtes kapitalistisches Wirtschaftssystem gegen den Rest der Welt.
Gerade in Zeiten, in denen die Differenzen der unterschiedlichen Positionen so unüberwindbar erscheinen, ist unsere Maxime, dass miteinander sprechen wie so oft der Schlüssel ist, um gemeinsam weiterzukommen und sich gemeinsam weiterzuentwickeln. Das beginnt bei uns im Unternehmen, wo sich jüngere und ältere Kolleg:innen nicht selten an genau diesen Themen festbeißen, dann aber – und das ist wichtig – den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen. Aber auch im Gespräch mit unseren Kundinnen und Kunden geht es oft um Zukunftsperspektiven in einer Welt im Wandel.
Was bedeutet das für unsere (Konsum-)Gesellschaft?
Bevor wir Ideen entwerfen, wie ein verträgliches Wachstum aussehen könnte, möchten wir das Prinzip Motivation vorstellen, der als treibende Kraft auch dem Kapitalismus innewohnen. An einem besonders anschaulichen Modell aus der Game Szene lassen sich die verschiedenen Motivatoren, sogenannte Core Drives, erläutern.
Doch was heißt eigentlich Gamification? Kein Mensch auf der Welt muss Spiele spielen. Trotzdem tun wir das alle, ob am Computer, als Brett- oder Rollenspiel. Wie nutzt man diesen inneren Antrieb in uns Menschen dazu, die Umwelt so zu gestalten, dass wir Verhalten fördern, welches wir erstrebenswert finden? Man nennt diesen Ansatz auch „Human Focused Design“. Dieses Design, diese Organisationsstruktur ist auf den Menschen und nicht nur auf die reine Funktion fokussiert. Es „holt uns ab“ und wirkt deshalb sehr motivierend. Aber, wie kann man diese Ideen nun nutzen, um Dinge anders zu gestalten? Unsere Arbeitswelt zum Beispiel?
Das Octalysis-Modell von Yu-Kai Chou schildert acht Motivatoren, die sogenannten Core Drives, ohne die bei uns Menschen keine Motivation aufkommt. Und mal ehrlich: Ohne Motivation kommen wir alle nur sehr schwer ins Handeln und Umsetzen. Diese Motivatoren gezielt einzusetzen, entwickelt in Organisationen eine ganz neue Dynamik.
Abb 1: Das Octalysis-Framework und die Motivatoren in Games
Mehr zum Octalysis-Framework erfahren Sie in dem folgenden Download:
Unterscheiden muss man zunächst extrinsische (in der Abb. im linken Bereich) und intrinsische (in der Abb. rechts dargestellt) Motivatoren. Die linken Core Drives 2, 4 und 6 setzen stark auf analytisches Denken. Wenn du dies tust, bekommst du das, mal ganz simpel auf den Punkt gebracht:
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2 Accomplishment & Development: Das meint den Antrieb, Fähigkeiten zu entwickeln und wirkt sehr sinnstiftend.
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4 Ownership & Possession: Hier liegt die Entwicklung darin, einen höheren Status oder ein tieferes Verständnis zu erlangen.
- 6 Scarcity & Impatience: Angst ist ein starker äußerer Treiber, z.B. die Angst bei Auktionen, nicht der- oder diejenige zu sein, die den Zuschlag erhalten.
Bei den rechten Core Drives 3, 5 und 7 sind komplexere Zusammenhänge die treibenden Kräfte:
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3 Creativity & Feedback: Darauf setzt zum Beispiel das Sandbox-Spiel Minecraft, in dem die Spieler:innen Dinge ausprobieren, ihre eigene Welt bauen und das Ergebnis „ihrer Hände Arbeit“ sehen können. Die eigene Entwicklung zu erleben, löst starke intrinsische Motivation aus.
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5 Social Influence und Relatedness: Dieser Motivator setzt stark auf die soziale Dynamik in einer Gruppe, das sind viele positive Faktoren, kann aber auch Aspekte wie Neid und Gruppendruck einschließen. In Unternehmen greift dies z.B. auch bei Aspekten wie Mentorship, und alle sozialen Netzwerke (Facebook oder Instagram) basieren auf diesem Prinzip.
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7 Unpredictability & Curiosity: Darauf basiert zum Beispiel die Börse. Hier gibt es so viele Abhängigkeiten, dass die Entwicklung nicht vorhersehbar ist. Die Motivation liegt in dem Drang hierin Interdependenzen zu erkennen, die andere noch nicht sehen.
Und noch eine weitere Unterscheidung ist wichtig, um die Wirkung der Core Drives sinnbringend einsetzen zu können. Die oberen, sogenannten „white head“ Drives lassen uns ermächtigt, erfüllt und zufrieden fühlen. In der Abbildung sind das neben Nr. 1 auch die oben bereits vorgestellten Drives 2 und 3.
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1 Epic Meaning & Calling: Wir verständigen uns auf eine gemeinsame große Idee, so etwas wie „Wir machen unsere Stadt grüner“ und arbeiten alle auf dieses Ziel hin.
Die unteren („black head“) Drives (Nr. 6, 7 und 8) hingegen lassen uns besessen, besorgt und abhängig fühlen. Sie sind zwar starke Motivatoren, hinterlassen aber ein „Geschmäckle“, da sie sich eher so anfühlen, als haben wir unser Verhalten nicht im Griff. Wie stark aber der Handlungsdruck ist, den sie auslösen, zeigt zum Beispiel Driver 8:
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8 Loss & Avoidance: Dieser Driver treibt die Menschen durch Vermeidung und Verlustängsten z.B. ganz materialistisch zu etwas hin, das sie nicht erhalten können, weil es knapp ist. Dieses Prinzip der Verknappung steckt auch im Kapitalismus. Eine starke extrinsische Motivation, die manchmal sogar als „schwarze Macht” bezeichnet wird.
Wir können diese Motivatoren, die intrinsischen wie die extrinsischen, die schwarzen wie die weißen für eine Organisationstruktur in Unternehmen nutzen! Gerade in Zeiten großer Veränderung ist es wichtig, das Team zu motivieren, mit auf den Weg zu nehmen, gemeinsam eine neue und zeitgemäße Wachstumsvision zu entwickeln. Das Octalysis-Modell liefert hier gute Ansatzpunkte, um den passenden Mix aus verschiedenen Antrieben für die eigene Organisation zu finden. Die Kunst ist es, die Motivatoren so zu „designen“, dass der Mensch in den Mittelpunkt steht und ein gesundes wie auch begrenztes Wachstum attraktiv und motivierend wird.
Ist eine „Kultur des Genug“ möglich?
Eine Welt ganz ohne Wachstum ist nicht möglich. Die Frage aber, wie viel Wachstum wir uns künftig erlauben können, muss ihrerseits erlaubt sein. Eine „Kultur des Genug“ statt ungezügeltem Wachstum. Welche Antriebe brauchen wir, um uns selbst und die Menschen um uns herum für diese Begrenzungen zu motivieren?
Das ist gar nicht so einfach, denn wir müssen auch festhalten, dass eine enthaltsame Lebensweise und Verzicht ist unserem Wirtschaftssystem nicht vorgesehen sind. Das kapitalistische System ist auf Konsum und Wachstum ausgerichtet und nicht nur das Wirtschaftssystem, auch unsere sozialen Sicherungssysteme sind auf Wachstum angewiesen.1
Wachstum ist ein Treiber im Menschen, der da ist und gestillt werden muss. Dieses Prinzip spiegelt sich im kapitalistischen System und macht dieses so erfolgreich. Aber: Es ist auch deshalb so erfolgreich, weil es auf Ausbeutung basiert und nicht alle gleichermaßen davon profitieren. Der wirtschaftliche Erfolg und der hohe Lebensstandard in Europa und den USA basieren letztlich immer noch auf dem imperialistischen System und den Abhängigkeiten aus der Kolonialzeit. Auch das darf man nicht verleugnen, wenn man sich über die Zukunft des Wachstums Gedanken macht.
Ist also Verzicht – besonders in unserem wohlhabenden Teil der Welt – nicht doch das Gebot der Stunde? Nur wie stabilisieren wir dann unsere eigene Wirtschaft und die Sozialsysteme? So betrachtet sind Verzicht und die „Kultur des Genug“ ein Angriff auf unsere Stabilität, aber dennoch unausweichlich. In welchen Rahmen können wir Wachstum also setzen, wie Wachstum so begrenzen, um es für die Zukunft zu gestalten?
Das Prinzip Wachstum können wir nicht aus dem Weg räumen, es ist der Teil der Welt und Teil unserer selbst. Einfluss haben wir aber darauf, welches Wachstum wir anstreben. Ganz platt formuliert: Wohin lenken wir unsere Gier? Und mit welchen Antreibern lenken wir? Denn was unsere Gier auslöst, ist kulturell konditioniert. Wie dringend ist z.B. das neueste iPhone zum Überleben? Brauchen wir wirklich alle zwei Jahre ein neues Gerät? Vor gut 15 Jahren gab es nicht mal Smartphones und daher auch keine Gier nach ihnen. Wie schaffen wir es, die Gier auf nachhaltige Technologien zu lenken? Vielleicht müssen wir Menschen uns wieder viel stärker als Teil des großen Ganzen und nicht so sehr getrennt von der Natur betrachten lernen.
Wie funktioniert Wachstum in der Natur?
Die Bionik macht sich Vorbilder aus der Natur zunutze. Sie entwickelt Lösungen für ganz unterschiedliche Fragestellungen, indem sie nach Lösungen in der Natur schaut. Ihre Grundfrage lautet: Wie hat die Natur das gelöst und was können wir daraus lernen? So sind schon viele zukunftsweisende Technologien entstanden. Neu ist, dass auch für Organisationsstrukturen verstärkt nach Vorbildern in der Natur gesucht wird. Was lässt sich beispielsweise aus der Struktur eines Ameisenvolkes auf die Organisation eines Unternehmens übertragen. Helfen solche natürlich gewachsenen Strukturen vielleicht sogar dabei, Grenzen zu setzen?
Unendliches Wachstum ist nicht möglich, die Natur hat Mechanismen und Prozesse, die das Wachstum eingrenzen. Können wir diese auf unser kapitalistisches System übertragen, in dem es zu wenige solcher Mechanismen gibt?
Wachstum und Balance in Unternehmen
Gesamtgesellschaftlich sind das vor allen Dingen (ordnungs-)politische Fragen. Als Beratungsunternehmen möchten wir unsere Kundinnen und Kunden ganz konkret dabei unterstützen, sich für eine ressourcenschonende Zukunft aufzustellen. Wie bleibt ein Unternehmen gesund? Wie kann es mit begrenzten Ressourcen umgehen? Wie die Mitarbeiter:innen im Change-Prozess mitnehmen?
Um einmal konkret zu werden: Mit welchem Spiel, welchen Motivatoren gewinnen wir unser Team? Wie können gewünschtes Verhalten belohnt oder uns ein gemeinsames Ziel setzen, auf das alle hinarbeiten? Vielleicht kann sich das Team in die Gestaltung eines Parks in der Nähe des Unternehmens einbringen? Und wie motivieren wir für diese Belohnung? Zum Beispiel so: Je mehr Fahrradkilometer die Mitarbeiter:innen innerhalb eines definierten Zeitraums gemeinsam „machen“, um nachhaltige Mobilität zu fördern, desto mehr Geld stellt das Unternehmen für das Park-Projekt zur Verfügung. Die in der folgenden Abbildung skizzierte Vorgehensweise zeigt, wie sich ein solches Motivations-Projekt planen lässt.
Abb 1: Das Octalysis-Framework und die Motivatoren in Games
Wir erleben immer wieder, dass Unternehmen, die eine Balance zu diesen komplexen Fragestellungen finden, dann auch in der Lage sind zu wachsen, ohne dabei die eigenen (und andere) Ressourcen zu verschwenden. Eine solche Balance hat auch viel mit der Organisations- und Zusammenarbeitsstruktur in einem Unternehmen zu tun. Mehr denn je suchen die Menschen den Sinn in ihrer Arbeit und möchten verstehen, warum sie bestimmte Aufgaben erledigen. Simple Delegation von Arbeitsschritten passt nicht mehr zu diesem Anspruch. Gelingt es aber, das Team für die Ziele des Unternehmens zu begeistern und so ihre intrinsische wie auch extrinsische Motivation zu wecken, ziehen alle am gleichen Strang.
Mit welcher Struktur sich der Change in Ihrem Unternehmen am besten bewerkstelligen lässt, erarbeiten wir mit Ihnen individuell. Dabei schöpfen wir aus unserem vielfältigen Erfahrungsschatz – methodisch und auch ganz praktisch aus der Zusammenarbeit mit unseren Kund:innen. Wenn auch Sie erfahren möchten, wie dies in Ihrem Unternehmen aussehen kann, sollten wir miteinander sprechen.
1. Podcast Lanz/Precht, Ausgabe 54, ab 24:20 min.