„Das Digital Innovation Playbook“ ist ein Leitfaden von Dark Horse, einer Beratungsgesellschaft aus Berlin, und richtet sich an alle, die neue Services oder Produkte kundenzentriert entwicklen wollen. Dieser Leitfaden soll einerseits genügend benötigte Flexibilität im Innovationsprozess bieten, um möglichst kostengünstig und risikoarm innovieren zu können und andererseits dennoch eine klare Struktur bieten, damit der Prozess nicht zum Glücksspiel verkommt und in gewisser Weise vergleichbar, reproduzierbar und objektiv messbar wird – nicht um Wissenschaftlichkeit herzustellen, sondern um allen Beteiligten ein sicheres Gefühl geben zu können und Ergebnisse messbar zu machen.
Grundannahmen im innovativen Prozess
Sich neue Inhalte anzueignen ist natürlich immer ein spannender Prozess. Das klappt am besten, wenn Neues mit Bekanntem verbunden wird. Deswegen soll in diesem Artikel nicht nur auf das hilfreiche und gut strukturierte Buch Digital Innovation Playbook von Dark Horse eingegangen, sondern auch die Verknüpfung zu unserem eigenen Vorgehen im Bereich Innovation, Vom Markt zum Markt, hergestellt werden. Letztendlich beruht das, in dieser Buchkritik vorgestellte Konzept, auf ähnlichen Grundannahmen wie unsere Beratungskonzeption.
Was sind nun diese Grundannahmen? Ein Schlüsselaspekt des Buches ist die Betonung der kulturellen Transformation als Grundvoraussetzung für den Erfolg digitaler Innovation. Dark Horse weist darauf hin, dass Technologien und Tools allein nicht ausreichen, um die gewünschten Veränderungen herbeizuführen. Vielmehr ist eine Kultur des Experimentierens, Lernens und Anpassens entscheidend. Das Buch betont die Bedeutung von Führung, Vision und einer agilen Denkweise, um die Vorteile der digitalen Transformation vollständig zu nutzen.
Eine weitere Grundannahme ist, dass vor allem so große schwer greifbare Komplexe wie Innovation in verdauliche Stücke heruntergebrochen werden müssen, die eine Struktur erfordern, die einen durch den Innovationsprozess führt, und somit sicherstellt, dass keine Schritte im Prozess vom Markt zur Idee zum Konzept zum Produkt und wieder zum Markt zurück vergessen werden.
Der kreative Prozess, den ich umgangssprachlich mit Innovation verbinde, hat bis heute keine einheitliche Theorie. Wir wissen gar nicht, was Kreativität wirklich bedeutet, umso erschlagender kann der Komplex Innovation wirken, insbesondere für den Mittelstand, der in seiner Nische froh ist, eine Produktpalette immer weiter perfektionieren zu können. Jedoch ändern sich in unserer heutigen BANI bzw. VUCA-Welt schnell die Parameter: Märkte verändern sich, politische Bestimmungen erzwingen die Anpassung von Produkten, Technologien werden entwickelt, Lieferketten brechen zusammen und der Kunde als Brennglas all dieser Entwicklung bestimmt am Ende über den Erfolg oder Misserfolg eines Produktes.
Innovation im Mittelstand – Reicht die beständige Perfektionierung der Produktpalette?
Nun steht das mittelständische Unternehmen ohne riesige Entwicklungsabteilung, Kapazitäten große Marktstudien durchführen zu können, keinem riesigen Marketing- und Vertriebsapparat, oft mit vielen Funktionen in Personalunion da und soll mal schnell das Produktportfolio erneuern, Märkte der Zukunft erkennen und den Konsumenten bei seinem Bedürfnis schnappen. Große Worte, große Verantwortung! Da ist es nicht verwunderlich, wenn die Scheuklappen angelegt werden und stur geradeaus galoppiert wird.
Genau hier setzt das Buch Innovation Playbook an, indem es doch einen sehr strukturierten Eindruck von Innovation, den ablaufenden Prozessen, den einzelnen Segmenten, möglichen Methoden zur Ausgestaltung der einzelnen Arbeitsschritte und den Stakeholdern liefert.
Des Weiteren kann das Buch aus der Rolle aller verschiedenen Stakeholder gelesen werden, wenn Sie in einem Team in einem bestimmten Innovationsschritt arbeiten, als Entdecker, Gestalter oder Evaluierer, oder eben als Projektleiter, -manager oder Product Owner den Prozess im Blick halten müssen - für jeden Stakeholder liefert das Buch den richtigen Ansatz im Innovationszyklus. Durch den modularen Aufbau muss nicht der gesamte Innovationszyklus durchlaufen werden. Letztendlich kann auch jeder Produktmanager einsteigen, der seinen Bauchladen aussortieren muss - auch er wird in diesem Buch die richtigen Methoden finden. Insbesondere wird auf unterschiedliche Rollen in den jeweiligen Teams, die an der Innovation beteiligt sind, eingegangen. Somit wird sichergestellt, dass die Projektteams nicht nur bunte Gruppen sind, sondern sich der Projektleiter oder -manager auch der unterschiedlichen Arbeitspräferenzen seiner Teammitglieder bewusst ist und diese auch beachtet. TMS (Team Management System) lässt grüßen.
Die Struktur des Buches wird im Folgenden dargestellt und mit Ideen unseres eigenen Innovationszyklus vom Markt zum Markt verbunden. Die große Zauberformel des Buches lautet Explore – Create – Evaluate! In diesem Dreischritt soll jeder Innovationszyklus ablaufen. Zu jedem dieser Schritte wird ein Canvas auf der Grundlage verschiedener Methoden befüllt, der somit visuell und zielgerichtet die Idee vom Markt zum Konzept zum Produkt und wieder zurück zum Markt bringt.
Jedes Modul zeichnet sich durch ein bestimmtes vorherrschendes Mindset aus. Im Explore-Modul ist es die Neugier. Das Explore-Modul hilft, ein Problem bei den Nutzern zu entdecken, welches gelöst werden will. Im Create-Modul wird der Kreativität freien Lauf gelassen und sich auf die Erstellung von Neuem konzentriert. Am Ende dieses Moduls sollten Lösungen gefunden sein. Diese Lösungen sind allerdings noch nicht überprüft, daher sind es nur Lösungshypothesen. Im Evaluate-Modul werden Experimente durchgeführt und die Lösungshypothesen werden systematisch überprüft.
Abbildung 1: Übersicht der Module.
Der erste Schritt ist das Explore-Modul
Abbildung 2: Übersicht Explore-Modul.
Das Explore-Modul ist die Festplatte für alle relevanten Informationen über den Nutzer und seine Bedürfnisse, aber auch den generellen Kontext, in dem die Innovationsentwicklung eingebettet ist. Potenzielle Wettbewerber und Partner spielen dabei ebenso eine Rolle wie Trends und Technologien. Die vielfältigen Anforderungen und Messdaten, die zu erheben sind, allein in diesem Modul, machen bereits deutlich, dass es mit einer Methode nicht getan ist. Allerhand verschiedene Methoden müssen gewählt werden, um jeden Aspekt dieses Moduls abzuarbeiten. Dieser Satz gilt auch für alle weiteren Module. Wir müssen also entscheiden, wie wir diese Daten sammeln, wie wir diese Daten ordnen und wie wir diese Daten im Kontext interpretieren, um Rückschlüsse auf unsere Nutzer ziehen zu können – im klassischsten Sinne Data Literacy. Eine Methode, um Trendthemen abzuleiten, die Auskünfte über Entwicklungen auf beispielsweise verschiedenen Märkten geben können, ist der Szenariotrichter.
Der zweite Schritt ist das Create-Modul
Abbildung 3: Übersicht Create-Modul.
In diesem Schritt kommt nun die Kreativität zum Tragen – die berühmte bereits erwähnte Vereinigung aus der Knüpfung von Neuem mit Altbekanntem, welches in der Kreation neuer Ideen mündet. Generell gibt es zwei unterschiedliche Methodenarten, um einen Lösungsraum zu erarbeiten: diskursive und intuitive. Die wahrscheinlich bekannteste aller intuitiven Methoden ist das „Brainstorming“. Hier startet man von einer Fragestellung – in diesem Fall einer Problemhyptohese – und versucht, mittels Assoziationen ein Ideennetz aufzuspannen, sich gegenseitig zu inspirieren und das Wissen dem Team präsent zu machen. Diskursive Verfahren beschreiben das Gegenteil. Hier werden Kategorien vorgegeben, in deren Rahmen Ideen entwickelt werden. Der Vorteil ist hierbei gleichzeitig der größte Nachteil, der festgelegte Rahmen lenkt bereits die Meinungen, lässt die Ideenfindung so stringenter werden, kann aber auch das Aufkommen neuer Ideen dadurch verhindern. Aus diesem Grund wird ein Methodenmix empfohlen. Die diskursiven Methoden, um einen guten Startpunkt ins Projekt zu finden und die intuitiven Methoden, um das nicht Offensichtliche zu finden. Ein Canvas, der bereits viele essenzielle Schritte in diesem Modul abdeckt, ist unser Innovation Canvas.
Der dritte Schritt ist das Evaluate-Modul
Abbildung 4: Übersicht Evaluate-Modul.
Mit dem Modul Evaluate werden die Ideen mit den Nutzern getestet, unter anderem anhand von Prototypen. Es wird damit die Frage geklärt, ob die Idee das Nutzerproblem löst, aber auch, was Nutzer bereit wären, für das Produkt oder den Service zu bezahlen. Das Modul Evaluate liefert auch erste Erkenntnisse zum Wettbewerb, zur strategischen Integration der Lösung in das Unternehmen, zur Vermarktung, zu Umsätzen und Kosten und zum Geschäftsmodell. Hier ist weniger mehr - rudimentäre Anwendungen wie ein Papierprotoyp reichen in den meisten Fällen aus. Jakob Nielsen, 2010 von der Bloomberg Businessweek in die Liste der „World’s Most Influential Designers“ aufgenommen, schwört, man brauche nur 5 Nutzer und Papierprototypen, um 85 Prozent aller Nutzungsprobleme eines Services aufdecken zu können. Hier empfehle ich unseren Download Jobs-to-be-done, der ebenso im ersten Modul eingesetzt werden kann, in diesem Schritt aber den Prototypen in der Hinsicht überprüft, ob er den Job, den der Kunde von ihm erwartet, erfüllen kann.
Eines sollte an dieser Stelle deutlich geworden sein: Innovation gehört nicht zu den Kernaufgaben im Unternehmen. Alle reden zwar immer davon, dass Unternehmen irgendwie innovativ sein müssen, aber die Tatsache, dass Unternehmen Umsetzungsmaschinen sind, widerspricht der systematischen Suche nach Innovationen. Wie muss also der Innovationszyklus in den Unternehmensnukleus eingebunden sein, damit die erarbeiteten Lösungen am Ende nicht in der Schublade verschwinden und nur einen teuren Wasserkopf bilden? Es wird ein Framework gebraucht, in das der Innovationszyklus eingebunden ist, in dem der Manager Entscheidungen mit den Projektteams treffen kann – dieses Buch liefert mit der Orientierung auf ein strukturiertes Vorgehen, Einbindung aller Teammitglieder aller Teams nach Arbeitspräferenzen, Betonung der Arbeitsweise als entscheidendes Kriterium für den Innovationserfolg, vielen Beispielen aus der Praxis und der Orientierung an praxiserprobten und wissenschaftlichen Methoden den gewünschten Leitfaden! Diese Dinge sind uns in unseren Beratungsprojekten zur Entdeckung neuer Märkte, Entwicklung von Geschäftsfeldern und -konzepten und agilen Produktentwicklung ebenso wichtig, weswegen wir voll und ganz mit den Inhalten des Buches mitgehen.
Jedoch ist die Zielgruppe des Buches klar in der Start-Up Branche, vor allem im Software-, Service- und App-Entwicklungsbereich anzusiedeln. Das prinzipielle Vorgehen und viele der Methoden, insbesondere in den Modulen Explore und Create lassen sich aber auch im Mittelstand für die Entwicklung neuer Produkte anwenden. Der einziger Kritikpunkt ist für mich, dass es an einer Stelle nicht ganzheitlich gedacht ist, da mit der Erstellung des Konzeptes praktischerweise geendet wird und es keinen Teil gibt, der Methoden zur konkreten Markteinführung liefert. Beziehungsweise ist das Modul Evaluate an dieser Stelle ein wenig undifferenziert. Das ist allerdings zu verschmerzen, da es nicht der konkrete Fokus des Buches ist. Im Grunde finden wir hier einen weiteren Vertreter des „nutzerzentrierten Designs“ wie den Business Model Canvas, die Lean-Startup-Bewegung, Design Thinking oder Service Design. All diese Ansätze predigen schnelles Testing mit Low-Fidelity-Prototypen, die Einbeziehung des Nutzers als Ausgangspunkt und eine pragmatische Vorgehensweise. Ich spreche eine klare Leseempfehlung für diejenigen aus, die sich eine klare und strukturierte Übersicht für den Innovationsprozess wünschen und suchen.