Manuel Immler Apr 24, 2022 11:03:02 PM Lesezeit 6 Minuten

Wachstumsmarkt Power-to-gas

Die bittere Realität des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine lenkt die Aufmerksamkeit verstärkt auf die Notwendigkeit des Ausbaus erneuerbarer Energien. Das war zuvor schon der Begegnung des klimatischen Wandels geschuldet. Denn wenn wir unsere Klimaziele ernst nehmen, muss die zukünftige Energie CO2-neutral bereitgestellt werden. Weniger Gas, mehr grüner Wasserstoff ist eines der Ziele Deutschlands bei der Energiewende. Gemeint ist sogenannte „grüne Energie“ aus Wasser, Wind und Sonne zur Reduzierung von Abhängigkeiten und politischen Unwägbarkeiten.

Im Fokus steht die Erreichung der Klimaziele und Schonung der Umwelt ebenso wie der Schutz der Gesundheit, gesucht wird nach neuen technischen Alternativen im Straßen- und Luftverkehr wie auch in der Schifffahrt, in der Herstellung von Düngemittel, in der Absicherung energieintensiver Produktionsstätten z.B. in der Stahl- und chemischen Industrie, die allesamt auf fossilen Quellen basieren. „Power to X“ macht begrifflich die Runde. P2X soll einen wichtigen Beitrag für den Klimaschutz und das Gelingen der integrierten Energiewende leisten. Es handelt sich dabei um ein Verfahren, Wasser (H2O) mithilfe von Strom per Elektrolyse in Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) aufzuspalten. Wer erinnert sich nicht an den frühen Schulunterricht in Chemie, in dem das durch Elektrolyse hergestellte, faszinierende „Knallgas“ vorgestellt wurde?  

Wasserstoff ist auf der Erde in nahezu unbegrenzten Mengen vorhanden. Er verbrennt CO2-frei und ist weder selbstentzündend noch ätzend oder radioaktiv. Um ihn verfügbar zu machen, muss er allerdings von wasserstoffreichen Verbindungen abgespaltet werden, klimaneutral insbesondere von Wasser über Elektrizität (insbesondere gewonnen aus Solar- oder Windenergie). Stammt der Strom bei der Wasserelektrolyse aus regenerativen Energieträgern wie Wind oder Sonne, spricht man von grünem Wasserstoff. Grauer Wasserstoff stammt dagegen aus herkömmlicher Herstellung mit fossilem Erdgas. Werden die hier entstehenden CO2-Emissionen nicht freigesetzt, sondern abgeschieden und gespeichert, spricht man von blauem Wasserstoff. Weniger häufig in der Herstellung ist türkiser Wasserstoff, in der durch thermische Spaltung von Methan kein klimaschädliches Kohlendioxid, sondern fester Kohlenstoff entsteht. 

Der klimaneutral professionell gewonnene Wasserstoff kann verschiedentliche Verwendung finden, entweder direkt genutzt werden oder in Verbindung nachgeschalteten Prozessen zu gasförmigen oder flüssigen Energieträgern (Power Fuels) weiterverarbeitet werden. Zum Beispiel zu Methan, das dem fossilen Erdgas gleicht und dieses substituieren kann, oder zu (flüssigem) Methanol, einem wichtigen Ausgangsstoff für die chemische Industrie. Auch zu synthetischem Dieselkraftstoff (Blue Crude), der uneingeschränkt im Straßenverkehr genutzt werden kann. Das Verfahren „Power to Gas“ wurde in den letzten Jahren intensiv vorangebracht und es kann attestiert werden, dass diese Technik inzwischen Marktreife erreicht hat. Das ist insbesondere bedeutsam, weil erneuerbare Energien über Solartechnik oder Windparks nicht konstant verfügbar sind. Je nach Breitengrad und Wetter schwankt die Sonneneinstrahlung pro Quadratmeter stark über Tage und den Jahresverlauf, auch der Wind ist von starken Schwankungen gezeichnet. P2X stellt dagegen eine konstante Energieversorgung perspektivisch sicher, also dass immer so viel Energie ins Netz gespeist wird, wie zurzeit auch abgefragt wird. Zwar können Lasten verschoben werden, wenn z.B. Der Preis für Energie an die Verfügbarkeit gekoppelt ist, dann laden die Leute ihr Auto, wenn die Sonne scheint, auch können große Netze lokale Schwankungen ausgleichen. Schwieriger wird es, Energie über längere Zeit zu verschieben.  Hier sind Speicher gefragt, die Energie aufnehmen, wenn sie im Überschuss vorhanden ist, und bereitstellen, wenn der Bedarf über der Verfügbarkeit liegt. Wenn unsere Energieversorgung zu immer höherem Anteil aus erneuerbaren Quellen gespeist wird, werden die saisonalen Schwankungen immer prägnanter. Die Sonneneinstrahlung im Sommer sorgt für einen vielfachen Stromertrag im Vergleich zum Winter. Experten beschreiben, dass wir im Sommer in Strom ertrinken werden, während im Winter, wo ja auch sehr viel geheizt werden muss, die reine Windenergie nicht ausreicht. 

Wirtschaftlich betrachtet und ökologisch sinnvoll ist P2G-Technik nur dann, wenn Stromüberschüsse aus erneuerbaren Energien (EE) verwendet werden. Deshalb bezeichnet man das Ergebnis auch als „Erneuerbare-Energien-Gas“ (EE-Gas) oder auch Windgas bzw. Solargas. Es wird also deutlich, dass diese Methodik auch eine Form von Energiespeicherung und -transformation ist, um überschüssige Energie-Erzeugung transportabel und beliebig verfügbar zu machen. 

Einige konkrete Anwendungsbeispiele dazu: 

Das Verfahren ist schon seit mehreren Jahrzehnten verfügbar und steht gemessen an dem technologischen Fortschritt an der Schwelle zur Wachstumsphase. Gegenwärtig noch kostenintensiv ist eine weitere Senkung der Investitions- und Betriebskosten über eine Mengen- und Größenskalierung, durch Standardisierung der Anlagenkomponenten sowie die Optimierung des Anlagenkonzepts im Blick. 

Inzwischen sind Marktentwicklungen erkennbar, die aufhorchen lassen. Statt Gas aus Russland eher Wasserstoff aus Marokko? Einem Bericht des SWR zufolge könnte Marokko ein Lieferant sein, um den Zielen Deutschlands bei der Energiewende entgegenzukommen: Weniger Erdgas, mehr grüner Wasserstoff! Das Land gilt als Vorreiter bei grüner Energie und will Weltmarktführer werden. Aber für Wasserstoff braucht es Wasser. Und das ist in Marokko knapp. Es ist letztendlich nur durch Meerwasserentsalzung zu gewinnen, und dafür braucht man zusätzlich Elektrizität. Allerdings verfügt der gebirgige Norden Marokkos über eine gute Ausstattung an Windrädern, im Süden steht eines der größten Solarfelder der Welt. Grüne Energie aus Wasser, Wind und Sonne – damit deckt Marokko heute schon 20 Prozent seines Energiebedarfs und hat noch weiterreichende Pläne. Bei über 10 bis zu 12 Sonnenstunden am Tag will das Land den Anteil der Erneuerbaren am Stromverbrauch bis 2030 mindesten auf 50 bis zu 85 Prozent erhöhen. Selbst wenn der Energiebedarf in Marokko jährlich erwartbar um 5 - 6 Prozent steigt, bleibt genug Kapazität, um den ambitionierten Zielen zu folgen, ein Hauptlieferant von grünem Wassersoff für Europa zu werden. Das Prinzip: Je günstiger der Strom, desto günstiger der Wasserstoff. Günstig lässt sich der Strom dort produzieren, wo die Sonne besonders intensiv scheint oder der Wind stark bläst. Und das genau spricht für Marokko. Effizient könnte es auch sein, Wasserstoff mit Wärme zu erzeugen – und zwar in solarthermischen Kraftwerken. Und solche Anlagen funktionieren gerade in südlichen Breiten wie auch Südspanien, Sizilien oder Nordafrika allgemein. Hier kommt aktuell Bewegung auf, es bleibt aber den Staaten dort überlassen, wie sie Geld mit grünem Strom verdienen wollen. Aber auch andere Länder wie sogar Island sind schon auf dem Weg… 

Wasserstoff ist ein äußerst leichtes, entflammbares Gas. Es kann entweder direkt verbrannt werden, um Wärme zu erzeugen oder Motoren anzutreiben. Er kann aber auch über umgekehrten Prozess der Elektrolyse, der sog. Brennstoffzelle wieder mit Sauerstoff (kalte Verbrennung) kombiniert werden, das Ergebnis ist dann Strom - wie man es von Wasserstoff-Autos kennt. Zwischen Produktion und Verwendung muss Wasserstoff aber oft transportiert und gelagert werden. Nun ist Wasserstoff nicht besonders leicht im Handling, es gibt aber einige neue Überlungen zur Transportproblematik. 
Die Wasserstoffforschung der Uni Augsburg sieht den zwar kostengünstigen Transport von (komprimiertem) Wasserstoff vorzugsweise per LKW oder Bahn unter Verwendung spezifischer Gasflaschen/Gasbehälter. Wasserstoff kann wegen seiner geringen Energiedichte als komprimiertes Gas nicht mit flüssigen Kraftstoffen wie Benzin konkurrieren. Ein mit 36.000 Litern Benzin gefüllter Tankwagen kann rund 625 Fahrzeuge mit je 60 Litern versorgen. Vergleichbar müsste der Wasserstoff-Tankwagen (300-bar-Gasflaschen) zehnmal fahren. 

Pipelines hingegen sind besonders vorteilhaft für den Transport großer Mengen komprimierten gasförmigen Wasserstoffs. Wobei der Bau eines passenden Pipelinenetzes hohe und langfristige Investitionen erfordert. Dazu werden Rohren aus rostfreiem Stahl benötigt, nahtlos miteinander verbunden bzw. verschweißt. Deutschland verfügt über zwei große Wasserstoff-Pipelinesysteme; zwischen Köln, Leverkusen, Düsseldorf und dem Ruhrgebiet (240 km), über die jährlich rund 250 Millionen Kubikmeter Wasserstoff (bei 20 bis 100 bar) transportiert werden (Betreiber: Air Liquide). LINDE verbindet die Städte Merseburg, Leuna, Bohlen, Bitterfeld und Rodleben bei Dessau (100 km). 

Vorgesehen ist ein sog. Wasserstoff-Rückgrat für Europa, ein 23.000 Kilometer langes Pipelinesystem. Das haben 11 große Gasanbieter in Europa miteinander avisiert. Das braucht aber noch einige Zeit bis dahin. Bis 2030 könnte dieses Pipelinesystem 6.800 Kilometer umfassen und Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, die Niederlande, Belgien, die Tschechische Republik, Dänemark und die Schweiz miteinander verbinden – größtenteils durch die Umrüstung von Erdgasleitungen machbar, was die Kosten schlank hält. Vorläufig bis zur Umstellung auf eine reine Wasserstoffversorgung könnte die bestehende Infrastruktur zur Erdgasversorgung (Pipelines und Untergrundspeicher) und die Beimischung von Wasserstoff in das Erdgasnetz (direkt oder auch über Methanisierung) eine mögliche Alternative sein, so das Forschungsergebnis der Uni Augsburg. Bereits heute wäre eine direkte Beimischung von bis zu 20 Prozent Wasserstoff in das Erdgasnetz machbar ohne größere Änderungen an Leitungen und an damit betriebenen Endgeräten. Aber auch andere Formen wie LH2 (liquid hydrogen), LOHC (flüssiges Trägermedium für Wasserstoff) oder Ammoniak kommen als weltweite Transportlösungen über LKW, Bahn oder Schiff in Frage. 

Aber auch die Feindistribution von Wasserstoff ist eine Aufgabe für sich. Laut ADAC gibt es in Deutschland aktuell immerhin rund 100 Wasserstofftankstellen, an denen öffentlich getankt werden kann. Bis Ende 2021 soll sich die Zahl der Zapfstellen auf 130 erhöhen. Angesichts der aktuellen Lage und der Preisstellung herkömmlicher Kraftstoffe wird mithilfe von Bundesmitteln vielleicht noch etwas mehr Schwung aufkommen. Was es in den nächsten Jahren dazu braucht sind die Geräte, Maschinen, Sensoren, Technologien, um dieses System in der Breite ausrollen zu können, um diese Potentiale zu auszuschöpfen. Hier sehen wir einen Trend, in den es sich lohnt zu investieren und weitere Entwicklungen voranzutreiben, denn hier sehen wir einen enormen Wachstumsmarkt.