Christoph Dill Feb 14, 2023 7:48:00 AM Lesezeit 6 Minuten

Value Propostion und Jobs to be done - Marktpositionierung am Beispiel

Ein Haus- und Reiseapotheke, die nicht nur weiß, welche Medikamente Zuhause vorhanden sind, sondern auch Anleitungen gibt, was im Notfall konkret zu tun ist: Für die Entwicklung ihres intelligenten Produkts holte sich MioMedico, ein junges Startup aus dem Raum Karlsruhe, einige unserer Kolleg:innen von lumanaa ins Boot, die sie bei Design und Software begleiten und unterstützen.

Unser Kunde…

Sie sind gekommen, um Ordnung in das Chaos unserer heimischen Arzneischränke zu bringen: Gemeinsam mit lumanaa entwickelte das Startup MioMedico, bestehend aus zwei erfahrene Ärzt:innen – die eine Notfallmedizinerin, der andere Neurologe – ein Produkt, das es auf dem deutschen Markt in dieser Kombination noch nicht gibt. Eine intelligente Haus- und Reiseapotheke, die einerseits informiert, welche Medikamente bald ablaufen oder fehlen und andererseits bei Beschwerden anhand von fachkundigen Schritt-für-Schritt-Anleitungen erklärt, was in der konkreten Alltags- oder Notfallsituation zu tun ist – vom Ausschlag bis zum Durchfall, von der Schnittwunde bis zum Zeckenstich.

Praktisch funktioniert das so: MioMedico bietet eine App sowie eine physische Tasche mit insgesamt sechs wählbaren Boxen, welche die wichtigsten Anwendungsfälle enthalten, d.h. Schmerzen, Verbrennungen, Wunden, Erkältungen, Magen/Darm sowie Bisse und Stiche. Zusätzliche Erweiterungsboxen sind geplant. Zur Bestandsaufnahme scannt man vorab alle Medikamente der eigenen Hausapotheke ein. Die App verfügt über ein Warenwirtschaftssystem wie eine Apotheke: Sie erkennt, welche Medikamente bald ablaufen, schon abgelaufen sind oder fehlen. Die wichtigsten Medikamente können dann entweder über eine angeschlossene Online-Apotheke oder eine lokale Apotheke der Wahl bestellt werden.

Problembeschreibung

Die Ausgangsbedingungen für ein kleines Startup wie MioMedico sind so spannend wie herausfordernd: Neben alle den Herausforderungen, die mit dem Aufbau eines Unternehmens verbunden sind,  betreten die beiden Ärzt:innen und Gründer:innen auch mit ihrem Produkt Neuland, denn das bildet quasi ein neues Genre – bisher gibt es einfach nichts wirklich Vergleichbares auf dem Markt. Um bei der Markteinführung erfolgreich zu sein, muss im ersten Schritt herausgefunden werden, wo sich das Produkt am besten platzieren und vermarkten lässt, also seine Kernpositionierung definiert werden.

Diese zentralen Herausforderungen haben wir mit einer Kombination von Jobs to be done und dem Value Proposition Canvas bearbeitet: Wer ist überhaupt unsere Zielgruppe? Was sind ihre Kaufmotive? Wo finden wir diese Zielgruppe am besten und was sind die richtigen Momente, in denen diese Zielgruppe offen für den Kauf des Produktes ist?

Das Vorgehen

Zur Beantwortung dieser Fragen haben wir anhand verschiedener Frameworks Hypothesen zur Positionierung gesammelt: Wer ist unsere „Persona“, unsere Zielkund:innen, d.h., wie sehen ihr Alltag, ihre Bedürfnisse und Forderungen aus? Was sind die „Jobs to be done“, also jene Jobs, die Miomedico für diese Zielgruppe noch lösen kann? Und was sind die „Schmerzen“ und Probleme für die Kund:innen bei der Erledigung dieser Jobs sowie mögliche Mehrwerte im Umgang mit der Haus- und Reiseapotheke? Zuletzt definierten wir die Lebenssituationen, in denen die Zielkund:innen für den Kauf bereit sein könnten.

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Abb. 1: Hypothesen, Eigene Darstellung

Nachdem wir uns hier eine Meinung gebildet hatten, haben wir in Interviews unsere Hypothesen überprüft. Diese Ergebnisse konnten wir schließlich in einem Value Proposition Canvas, dem Leistungsversprechen des Produkts an die Kund:innen, zusammenführen und aus allen Interviews die wichtigsten Elemente in das Produkt einbauen. Die Anwendung dieser drei Methoden ermöglicht es, recht früh im Entwicklungsprozess wichtiges Feedback von den Menschen zu bekommt, die das Produkt in der Anwendung betrifft, um so die Kernpositionierung des Produkts herauszuarbeiten.

Dabei ergab sich ein recht klares Bild unserer Zielkund:innen: Es sind vor allem Familien mit mind. zwei Kindern, zwei Einkommen, meist hochqualifiziert, ohne medizinische Ausbildung und mit einem stressigen Alltag, den sie zwischen Beruf und Familie jonglieren. Die meisten gehören zur Generation der Digital Natives, für die der Umgang mit einer App ist selbstverständlich ist und die man vor allem Online über Soziale Medien wie Instagram oder Facebook und über Reiseportale erreichen kann. Weitere wichtige Orte der Ansprache sind außerdem alles rund um die Familie wie Familienzeitschriften, Sport- und Aktionsvereine. Als Eltern ist ihnen medizinische Versorgung, insbesondere die der Kinder, sehr wichtig, und sie sind oft unsicher, ob sie das Richtige zu tun.

Gerade der letzte Punkt stellt ein zentrales Motiv für eine Kaufentscheidung dar, denn das Produkt gibt ihnen vor allem eins: Sicherheit. Darüber, alles Wichtige beisammen zu haben, zu wissen, was im Zweifelsfall zu tun ist und über die hohe Qualität des Produkts aufgrund der beiden Fachleute, die es gegründet haben. Kurz gesagt: Die Zielkund:innen haben die Sicherheit, in einer alltäglichen Notfallsituation gut versorgt zu sein. Diese Sicherheit wiederum bringt ihnen vor allem mentale Entlastung: „Mit einem Klick ist alles da und ich kann mich um andere Dinge kümmern.“

Eine Interviewteilnehmerin erklärte es so: Da ihr Mann für die Zusammenstellung der Reiseapotheke zuständig ist, sie ihm dafür aber eine Liste schreiben muss, führt diese Aufgabe vor jedem Urlaub immer wieder zu Stresssituationen zwischen den beiden. Ein Produkt wie dieses würde sie enorm entlasten, da ihr Mann nun einfach nach der automatisch vorgegebenen Liste die Reiseapotheke zusammenstellen könnte. Der eigentliche, aber unbeabsichtigte Job bei diesem Produkt – der Job to be done – ist also nicht nur die oben beschriebene medizinische Sicherheit, sondern die Zufriedenheit in der Ehe, welche das Produkt der Interviewten bringt.

Diese qualitativen Ergebnisse wurden über alle Interviews verdichtet, gewichtet und in die rechte Seite des Value Proposition Canvas übertragen. So ergibt sich ein recht eindeutiges Bedürfnisbild aus Jobs, Schmerzen und Mehrwerten der adressierten Zielkund:innen.

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Abb 2: Pains, Gains und Needs, Eigene Darstellung

Im nächsten Schritt wurden diese Bedürfnisse mit den bereits definierten Features des Produktes abgeglichen, um so ggf. Lücken bzw. nicht erforderliche Features zu identifizieren. Das Resultat ist eine Art High-Level Lasten- und Pflichtenheft, das sowohl für die Ausrichtung des Produktes bzw. der Leistungen als auch für die Ausrichtung der Marktansprache genutzt werden kann. Die finale Zusammenfassung erfolgte in der Value Proposition oder in einer Art Unique Selling Point (USP), der in der Mitte des Canvases dargestellt ist.

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Abb. 3: Value Proposition Canvas komplett, Eigene Darstellung

Im vorliegenden Fall haben sich eine Vielzahl der Hypothesen bestätigt und präzisiert, was zum einen zur Priorisierung der weiteren Entwicklungs-Roadmap und gleichzeitig zur Ausrichtung der Go-To-Market-Strategie genutzt wurde. Ergänzend wurden in den Interviews noch die kaufentscheidenden Situationen analysiert, also: Wann entsteht im Alltag der Zielkund:innen eine Situation, in der diese nach einer Lösung in der Art, wie sie von MioMedico angeboten wird, suchen? Natürlich kann durch gute Marketing- und Vertriebsarbeit die Kaufbereitschaft der Zielkundschaft beeinflusst werden. Aber gerade wenn das Budget im Marketing und Vertrieb gering ist, ist die zielgenaue Positionierung des Produktes ein wichtiger Erfolgshebel! Aus den Interviews ließ sich hier folgende, bisher nicht erkannte Situation, erkennen: Während es für die Hausapotheke keinen konkreten Anlass im Alltag gibt und sie vielmehr über viele Jahre hinweg entsteht, ist der Zeitpunkt für die Reiseapotheke genau identifizierbar. Vor dem Urlaub ist das Stresslevel unserer Zielkund:innen, der Eltern, besonders hoch, aber ohne eine entsprechende medizinische Ausstattung wollen sie nicht in den Urlaub fahren.

Aus diesen Erkenntnissen wurde die geplante Customer Journey sowie die Marketing- und Vertriebsarbeit angepasst: Die Reiseapotheke bildet demnach in verschiedenen Varianten und Adaptionen eine saisonal angepasste Speerspitze, da hier der Need und das Momentum am klarsten identifizierbar sind. Haben die Kund:innen im Urlaub die Vorzüge von MioMedio erlebt, ist die Hausapotheke ein optimales Upselling-Produkt – frei nach dem Motto: „Warum eigentlich nur im Urlaub die Vorzüge von MioMedico nutzen, wenn wir sie auch im Alltag genießen können?!“

Ergebnisse und Erkenntnisse

Die oben beschriebene systematische Bearbeitung aus Hypothesen, der Überprüfung von Jobs to be done sowie der Value Proposition Canvas und der daraus resultierenden Entwicklungs-Roadmap hat im vorliegenden Fall enorm geholfen, die Positionierung des Produktes final auszurichten. So konnten vorhandenen Ressourcen zur Markbearbeitung sowie zur Weiterentwicklung des Produktes zielgerichtet eingesetzt, der adressierte Markt fokussiert und dadurch die Mittel zur Ansprache zielgerichtet eingesetzt werden. Ob und wie sich das auf den Erfolg der Platzierung und letztlich den Markterfolg auswirken wird, muss sich noch zeigen.

MioMedico ist also auf einem guten Weg, sich als kleines Startup mit einem einzigartigen, völlig neuen Produkt auf dem Markt erfolgreich zu positionieren. Doch damit ist es natürlich noch nicht getan. Wichtig ist jetzt die kontinuierliche Überwachung und Messung der Entwicklung, um zu überprüfen, ob die gewünschten Effekte auch eintreffen. Denn am Ende wird nur der Markt bzw. der Markterfolg selbst zeigen, ob die gewählte Vorgehensweise die gewünschten Ergebnisse schafft. Die wichtige Aufgabe wird nun sein, kontinuierlich die Vorgehensweise, die man aus den Erkenntnissen der nächsten Schritte im Markt gewinnt, zu optimieren und anzupassen.

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