Andreas Schrenk Lesezeit 4 Minuten

Delegation und Vertrauen

 

Neben der Abwägung, ob und wie und wenn ja, wie viel Homeoffice sich verträgt mit ziel- und erfolgsorientiertem Arbeiten und gleichzeitig auch die Bedarfe und Bedürfnisse der Teams mit abdeckt, beschäftigt viele Unternehmen die Frage, unter welchen Prämissen sie die Zusammenarbeit gestalten wollen, bzw. müssen, um eine außergewöhnliche Unternehmenskultur zu haben. Die Kultur, die in einem Unternehmen erfahrbar ist, kann das Zünglein an der Waage sein, ob potenziell künftige Mitarbeiter:innen sich für dieses oder jenes Unternehmen entscheiden.
Diese Kultur soll den einzelnen Mitarbeiter:innen und Kolleg:innen nicht nur ermöglichen, Sinn in ihrer Arbeit zu finden, sondern auch innerhalb der Teams eine von Wertschätzung und Vertrauen geprägte Zusammenarbeit fördern. Dies soll sich wiederum positiv auf die gesamte Kultur im Unternehmen auswirken und eine Atmosphäre schaffen, in der jeder gerne arbeitet und sein volles Potenzial entfalten kann.

Eine der fundamentalen Annahmen, auf die man sich hierzu verständigen kann, ist die Überzeugung, dass unser Gegenüber – der Mensch, mit dem wir zusammenarbeiten – grundsätzlich gute Absichten hat. Es wird davon ausgegangen, dass dieser Mensch nichts Böses im Schilde führt, bereit ist, sich konstruktiv einzubringen, sich an getroffene Vereinbarungen und vereinbarte Kodizes zu halten und zur Zusammenarbeit bereit ist. Diese positive Grundhaltung spiegelt ein optimistisches Menschenbild wieder und ist das Fundament einer gesunden Unternehmenskultur. Es geht also darum, sich für die Maxime zu entscheiden, dass niemand zuerst etwas tun muss, um Vertrauen entgegengebracht zu bekommen; man muss es sich nicht verdienen, sondern bekommt es von Anfang an geschenkt.

Doch wie gestaltet sich das Zusammenspiel von Delegation und Vertrauen in der Praxis? Wann vertraut man wem und in welchem Umfang? Diese Fragen sind entscheidend für das Funktionieren dieses Ansatzes und bedürfen einer eingehenden Betrachtung.

Zu Beginn ist es essenziell, Vertrauen zu schenken. Es gilt, davon auszugehen, dass die Teammitglieder vertrauenswürdig sind und willens, ihre Aufgaben bestmöglich zu erfüllen. Vertrauen wird von vornherein frei gegeben, ohne dass ein initialer Nachweis der Vertrauenswürdigkeit erforderlich ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass blind vertraut wird. Klare Kommunikation ist dabei unerlässlich. Es muss sichergestellt werden, dass Aufgaben und Erwartungen präzise formuliert sind, um Missverständnisse zu vermeiden. Zudem müssen alle notwendigen Ressourcen und Unterstützung bereitgestellt werden, damit Aufgaben erfolgreich bewältigen können.

Regelmäßige Check-ins und Feedback-Sitzungen helfen, die Ausrichtung beizubehalten und Probleme frühzeitig zu erkennen. Diese Treffen sind unterstützende Maßnahmen, um Hindernisse gemeinsam zu überwinden und sicherzustellen, dass alle Beteiligten auf dem gleichen Stand sind.

Konstruktives Feedback kann in diesem Kontext regelhaft stattfinden und als strukturgebendes Element eine zentrale Rolle spielen. Feedback ist ein wertvolles Instrument, das es ermöglicht, Lernprozesse zu fördern und die Zusammenarbeit kontinuierlich zu verbessern. Eine offene und wertschätzende Feedbackkultur trägt wesentlich dazu bei, das Vertrauen zu stärken und Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Die Komplexität von Feedback ist, insbesondere hinsichtlich der Einführung allerdings nicht zu unterschätzen. So wertvoll es für die Weiterentwicklung von Teams, Einzelpersonen und damit auch für die gemeinsame Performance sein mag, so herausfordernd ist es auch, Feedback wirklich einzuführen und zu nutzen. Vergleichbar mit den sogenannten Wachstumsschmerzen, während unsere körperliche Entwicklung im Jugendalter sind offene und ehrliche Feedback-Runden eher geprägt von gelegentlich schmerzhafter Erkenntnis über Aspekte in der eigenen Persönlichkeit oder beim persönlichen Auftritt, derer man selbst nicht bewusst ist und auf die man vielleicht nicht grade stolz ist. Aber genau darin liegt ja der Wert, wertschätzend und wohlwollend auf eigene blinde Flecken hingewiesen zu werden, erzählt zu bekommen, dass man z.B. in einem Satz 4 x „äh“ sagt oder beim Reden ständig die Hände im Gesicht hat. Dann hat man die Chance, daran etwas zu verändern und sich persönlich weiterzuentwickeln.

In Bezug auf die Frage, wann und in welchem Maße Vertrauen gegeben wird, verfolgen viele Unternehmen den Ansatz, mit einem grundlegenden Vertrauensniveau für alle Teammitglieder zu beginnen. Es wird darauf vertraut, dass die Teammitglieder gute Absichten haben und sich ihren Rollen verpflichtet fühlen. Dieses Anfangsvertrauen bildet die Basis für alle weiteren Interaktionen und ist ein wichtiger Schritt, um eine positive Arbeitsatmosphäre zu schaffen.

Das Vertrauen kann auch je nach Expertise und Erfahrung einer Person in einem bestimmten Bereich variieren. Für kritische Aufgaben ist es von Bedeutung, sicherzustellen, dass die Person über die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt. Hier spielt die individuelle Kompetenz eine wichtige Rolle. Indem die Stärken und Fähigkeiten der Teammitglieder erkannt und genutzt werden, können Aufgaben gezielt delegiert und sichergestellt werden, dass sie effektiv und effizient erledigt werden.

Probleme sollten direkt und konstruktiv angesprochen werden, um Vertrauen gegebenenfalls wieder aufzubauen. Transparenz und Ehrlichkeit sind hierbei unerlässlich. Wenn Vertrauen missbraucht wird, ist es wichtig, diese Situationen offen zu besprechen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Eine Kultur der Vergebung und des Lernens aus Fehlern trägt dazu bei, dass das Vertrauen langfristig erhalten bleibt und gestärkt wird.

Eine Unternehmenskultur, in der Vertrauen ein Geschenk ist, das einander gegeben wird, stellt es keine Ressource dar, die knapp ist oder rationiert werden muss, sondern eine Grundlage für die Zusammenarbeit. Indem Vertrauen geschenkt wird, wird eine Umgebung gefördert, in der Kreativität, Innovation und Engagement gedeihen können. Ein hohes Maß an Vertrauen und Wertschätzung ist die Basis für nachhaltigen Erfolg und Zufriedenheit in der Zusammenarbeit.

Vertrauen und Delegation gehen in vielen Unternehmen Hand in Hand. Indem den Teammitgliedern von Anfang an Vertrauen entgegengebracht wird, wird die Grundlage für eine starke und effektive Zusammenarbeit geschaffen.

In der Praxis bedeutet dies, dass Führungskräfte eine unterstützende Rolle einnehmen. Sie fungieren als Mentoren und Coaches, die ihre Teammitglieder ermutigen und proaktiv sicherstellen, dass die Werkzeuge und Ressourcen zur Verfügung stehen, die für die erfolgreiche Erledigung und Bewältigung der delegierten Aufgaben notwendig sind. Anstatt Mikromanagement zu betreiben, setzen sie bei Delegation auf Empowerment und Selbstverantwortung. Es wird darauf vertraut, dass die Teammitglieder in der Lage sind, ihre Aufgaben eigenständig und mit hoher Qualität zu erledigen, und gleichzeitig stehen sie ihnen mit Rat und Tat zur Seite, wenn Unterstützung benötigt wird.

Ein weiterer wichtiger Aspekt einer solchen Unternehmenskultur ist die Anerkennung und Wertschätzung der individuellen Beiträge. Jede Leistung wird gewürdigt, und Erfolge werden gemeinsam gefeiert. Dies stärkt nicht nur das Selbstbewusstsein der Einzelnen, sondern fördert auch den Teamgeist und das Gemeinschaftsgefühl. Durch regelmäßige Anerkennung und Wertschätzung wird ein positives Arbeitsumfeld geschaffen, in dem sich jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin geschätzt und motiviert fühlt.

Die Unternehmen, die zunehmend bestrebt sind, gezielt, also mit Intention, eine Unternehmenskultur zu schaffen, die auf Vertrauen, Wertschätzung und gegenseitigem Respekt basiert, werden das Rennen machen, wenn es darum geht, Mitarbeitende zu finden, zu binden und zu entwickeln.

 

Vertrauenskultur als Wettbewerbsvorteil. Klingt verrückt?
Nur für die, die das nicht kennen.