Die Emotionalisierung von Produkten
Wenn wir über B2C Produkte nachdenken, wird eine emotionale Komponente beim Entscheidungsprozess für oder gegen ein Produkt in den meisten Fällen mitgedacht. Jeder Rationalisierungsversuch eines Kaufprozesses und das Reduzieren auf harte Fakten wie Preis und Leistung muss fehlschlagen.
Bei bestimmten Konsumgütern wird dieser Umstand gar auf die Spitze getrieben, als dass hier reine Emotionalität verkauft wird. Bei ihnen würde niemand überhaupt nur auf den Gedanken kommen, Emotionen aus dem Kaufprozess auszuschließen.
Warum fällt uns das dann bei anderen Produkten scheinbar so leicht? Niemand würde wohl behaupten, dass Schrauben ein „gefühlvolles" Produkt darstellen - weder für den Endkunden noch im B2B-Bereich. Doch stimmt das so?
Um sich dieser Frage zu nähern, sollten wir zunächst darüber nachdenken was Gefühle in diesem Zusammenhang sind und wie sie im Kaufprozess wirken. Klicken Sie auf das Bild, um zu einem brandeins-Gespräch über das Thema mit der Neurowissenschaftlerin Maren Urner zu kommen.
Immer mit im Spiel: Bedürfnisse und Emotionalität
Bleiben wir bei den Schrauben. Hier besteht objektive Transparenz hinsichtlich Preis und Leistung wie Materialpreis und der Herstellungs- und Distributionskosten. Serienproduktion und Modularisierung der Produktpalette (Muttern, Schrauben, Gewinde, etc.) geben die Möglichkeit der Rabattierung sowie für Cross- und Upsell. Gleichzeitig muss die Qualität stimmen: Belastungs- und Widerstandsfähigkeit, Härte-Test und Langlebigkeit der Schraube spielen eine große Rolle.
Und bereits hier verlassen wir den Rahmen des Faktischen und begeben uns ins „Weiche“, in die Emotionalität oder besser gesagt: in den Bereich der Bedürfnisse, in den unter anderem auch Qualität und Preis fallen.
Beispiel Einkauf: Der möchte natürlicherweise Qualitätsprodukte erwerben, mit denen der eigene Betrieb optimal weiterarbeiten kann. Was auch für die Schrauben, die er kauft, gilt. Genauer liegt dahinter vor allem ein bestimmtes Bedürfnis, nämlich das nach Sicherheit. Er möchte die Sicherheit haben, dass das Produkt, das er erwirbt, seine KPI erfüllt. Was wiederum auch zur Sicherheit führt, dass andere Abteilungen - wie auch persönliche Vorgesetzte - zufrieden sind. Einkäufer*innen sind daher immer auf der Suche nach Vertragspartnern, die ihnen nicht nur die Langlebigkeit des Produktes, sondern auch die langjährige Verfügbarkeit der Produktlinie zusichern können.
Du hier gesellt sich nun auch das Bedürfnis nach Beziehung dazu. Je nachdem, in welcher Branche und welchem Unternehmensgefüge Sie selbst unterwegs sind: Sätze wie „Mit XY arbeiten wir in dem Bereich schon seit Jahren zusammen, auf die kann ich mich verlassen“ haben Sie vermutlich auch schon mehr oder weniger oft gehört.
Was in diesem Satz steckt, ist: Ich will mich auf andere verlassen können. Denn wir Menschen sind Beziehungswesen. Unser Vermögen, Gruppen zu bilden und gemeinsam zu arbeiten (früher: zu jagen!) hat uns dahin geführt, wo wir heute sind. Gerade in den letzten Jahren wächst der Gemeinschaftsdrang bzw. Gemeinschaftswille auch gesamtgesellschaftlich, und hat auch in den Zeiten davor einzelne Individuum nie verlassen. So sehr wir in der westlichen Welt unsere Bedürfnispyramide in den letzten Jahrzehnten verändert haben und zur Individualität streben, so sehr gilt auch: Menschen arbeiten immer mit Menschen bzw. Menschen machen auch Geschäfte mit Menschen.
In unserem Beispiel bedeutet das: Ich als Einkauf möchte in dem Unternehmen, das mir die Schrauben liefert, eine klare Ansprechperson haben, jemanden, mit dem ich REDEN kann, wenn es etwas zu besprechen gibt, jemandem dem ich zutraue, meine Bedürfnisse nach Sicherheit und Beziehung zu erfüllen.
Nicht zuletzt habe ich als Einkauf auch das Bedürfnis danach, einen Beitrag zur Entwicklung meines Unternehmens zu leisten und als gute Fachkraft wahrgenommen zu werde, indem ich gute Deals erziele: preislich (niedrige Kosten für Schrauben), qualitativ und oder (auch wenn ich mich für ein teureres Produkt entscheide), weil deren Marke den besseren Service liefert im Sinne von schnelleren Lieferzeiten oder Kundenservice in Muttersprache.
In manchen Fällen spielt auch die Ästhetik der Schraube eine Rolle. Sobald Schraubenköpfe im sichtbaren Bereich liegen, wollen die Kundenbedürfnisse nach Wohlgefallen und der damit eng verknüpften Emotionalität erfüllt werden.
All diese Bedürfnisse haben ihren Ursprung in Bedürfnissen, die nur auf Ebenen erfüllt werden können, die weit über die der rein technischen, funktionalen Eigenschaften von Produkten hinausgehen. Wie wir sehen, spielen selbst Preis und Leistung des Produktes eine Rolle für persönliche Bedürfnisse. Und sind in dieser Weise „emotional“. Ähnliches gilt für die Außenwirkung der Produkt-Marke, die Stärke und Verlässlichkeit kommunizieren kann ebenso wie für den Vertreib und Service: die Menschen, die dort arbeiten tragen große Verantwortung für die Erfüllen von Bedürfnissen.
Somit ist die Frage „Müssen Schrauben emotional sein“ mit einem klaren JEIN zu beantworten. Oder wie es ein kluger Mensch formulieren würde: „Die Schraube an sich muss überhaupt nicht emotional sein. Das ganze Drumherum dafür aber umso mehr.“ Deshalb stellt sich sofort auch die Folgefrage: Inwieweit kann ein Produkt überhaupt von seinem Zusammenhang isoliert betrachtet werden? Oder: Versuchen Sie doch mal, eine Stihl Kettensäge zu kaufen, ohne an die Marke zu denken.
Wenn wir auf diese Weise um die Bedürfnisse des Marktes (in unserem Beispiel des Einkaufs) wissen, können wir diese von Beginn an in unsere Überlegungen einfließen lassen. Das Markt-zum-Markt Prinzip zeigt das in eindrucksvoller Weise. Was der Markt will - also seine emotionale Lage - hilft mir zu verstehen, was der Kunde braucht, wo sein Schmerz liegt, seine Probleme und letztlich seine Bedürfnisse (warum wir dringend wieder über Probleme reden sollten, lesen Sie hier).
Erst wenn ich all diese Faktoren kenne, kann ich sie bereits in der Ideenentwicklung und Planung und vor allem in der Umsetzung einfließen lassen. Konsequent umgesetzt, bedeutet dies: Ich habe am Ende ein Produkt, das den Bedürfnissen des Marktes auch wirklich entspricht, demnach umsatzfähig und somit erfolgreich ist. Wenn dabei Emotionen und Bedürfnisse mitgedacht werden, kommt mir das auch beim Einstieg in den Markt zugute: Kenne ich Pains und Needs meiner Kaufenden, passe ich meine Werbung auch an sie an.
Abb. 2: Vom Markt zum Markt (Quelle: Eigene Darstellung)
Gehe ich mit Schrauben an den Markt, werde ich in der Vermarktung auf Sicherheit setzen, auf Beziehung und auf Beitrag. Weil ich heute schon weiß, dass mein Markt genau so funktioniert. Natürlich werde ich auch etwas aufrütteln müssen, da der Markt an Schrauben sicher gut gedeckt ist. Eine Kenntnis der emotionalen Lage ist also niemals die ganze Miete. Dieses Wissen bewahrt mich nicht davor, dass ich ein Produkt benötige, das zumindest die Key Funktionen erfüllt und seinen KPI´s gerecht wird. Aber ich brauche auch Unique Selling Points und um sie herum gestrickt: ein starkes Narrativ.
Vielleicht fragen Sie sich beim Lesen schon: Wie um Himmels Willen soll ich denn nun Schrauben emotional darstellen? Die Antwort darauf liegt ebenfalls in diesem Artikel (in zweifache Hinsicht): durch Framing und Narration.
Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum ein Auto-Kauf ein so emotionales Erlebnis ist? Im Endeffekt ist ein Auto ein Haufen Metall, will sagen: es ist ein unbelebtes Ding, das einen Zweck zu erfüllen hat, nämlich uns von A nach B zu bewegen. Analog: Eine Schraube ist ein unbelebtes Ding, das genau einen Zweck hat, nämlich Teil A und Teil B zu verbinden.
Und doch sprechen wir im Zusammenhang mit dem Auto über Größen wie Freiheit, Selbstbestimmung und Liebe. Niemand würde wohl auf die Idee kommen, Schrauben als „die lebendige Brücke von Holz und Metall“ zu bezeichnen. Doch so absurd diese emotionale Überhöhung bei einem Gegenstand wirkt, so selbstverständlich ist sie für uns (inzwischen) beim anderen. Warum ist das so? Es kann nicht in der Natur der Produkte liegen, es ist offensichtlich gelernt.
Wir haben uns so oft Geschichten vom freiheitsliebenden Autofahren erzählt, vom Fahrzeug als Familienmitglied, dem wir Namen geben und es zärtlicher waschen als unsere Sexualpartner, von der Sicherheit und Verlässlichkeit unseres Fahrzeuges in einer unwirtlichen Welt und dem Fahrspaß als letztem großen Abenteuer unserer Gesellschaft, dass wir sie irgendwann tatsächlich geglaubt haben.
Wenn Sie sich dafür interessieren welche Bedürfnisse es sind, die in Zusammenhang mit Autos und Mobilität erfüllt werden, empfehle ich Ihnen unsere Wissensdusche „Heilig´s Blechle“, in der ich mit meiner Kollegin Claudia Weyrauther genau hierüber spreche.
Vielleicht ist es an der Zeit, uns gegenseitig die Geschichte von der kleinen, tapferen Schraube zu erzählen, die bei Wind und Wetter an ihrem Holz festhält. Das klingt doch eigentlich auch nach einer netten Adventsgeschichte...