Psychologische Sicherheit ist die „softe“ Kraft in Teams
Wandel, ob gewollt oder ungewollt, stellt Teams immer in vielerlei Hinsicht auf die Probe. So hat der Sturm der letzten Krise die allermeisten Teams „verweht“. Ihre Mitglieder arbeiten von ihren jeweiligen „Home Offices“ aus. Neben der ganz generellen Frage
"Wie finden wir für den Wandel die besten Lösungen und nehmen dabei alle mit?"
ringen daher viele Führungskräften nun auch mit der zentralen Frage
Wie stellen wir unseren Zusammenhalt als Team sicher?
Viele aufwendige Maßnahmen und Methoden werden vor allem im Rahmen von Veränderungsprozessen genau dafür ausgetüftelt. Deshalb erscheint die eigentliche beste Antwort auf diese Fragen verblüffend einfach. Denn über alle Rahmenbedingungen und Merkmale einzelner Personen - auch der von Führungskräften - hinaus, ist es nachweislich ein ganz bestimmter Faktor, der entscheidend dafür ist, ob Teams diese Herausforderungen meistern: das Maß der subjektiv empfundenen psychologischen Sicherheit ihrer Mitglieder. Denn psychologische Sicherheit „…ist die geteilte Vorstellung eines Teams, dass es sicher ist, innerhalb des Teams zwischenmenschliche Risiken einzugehen.“ (Edmondson, 1999). Psychologische Sicherheit sorgt also dafür, dass sich Teammitglieder als die Menschen ins Team einbringen, die sie sind. Mit ihren Ideen, Erfahrungen, Kenntnissen, Meinungen und Wünschen ebenso wie ihren Einwänden und Sorgen. Auf diese Weise kann die Vielfalt im Team - gerade auch im Wandel - auch wirklich wirksam werden: Psychologisch sichere Teams sind lernfähiger, kreativer, anpassungsfähiger und letztlich resilienter. Darüber hinaus wird die Verbindung aller Teammitglieder untereinander und zum Team gestärkt, denn die Menschen im Team fühlen sich wahr und angenommen.
Herbeizaubern lässt sich psychologische Sicherheit allerdings nicht. Kein noch so spannendes Teamevent stellt diesen Zustand im Handumdrehen her. Er entsteht vielmehr im täglich gemeinsamen Team-Erleben und auch nur, wenn alle im Team daran arbeiten. Denn psychologische Sicherheit bezieht sich, anders als das Konzept Vertrauen, nicht auf das Verhältnis einzelner Teammitglieder zueinander, sondern auf ein im Team geteiltes Gefühl. Teams können auf der Arbeitsebene psychologische Sicherheit entwickeln - die Talente und die Arbeitsweise der jeweils anderen in diesem Kontext respektieren und als wichtig betrachten - und dennoch aus nur sehr wenigen freundschaftlich-vertrauensvollen Beziehungen bestehen.
Das Modell der 5 Dysfunktionen von Teams von Patrick Lencioni beschreibt eindrucksvoll und gut nachvollziehbar, was psychologisch sichere Teams konkret tun, um dieses Klima zu erzeugen und aufrecht zu erhalten:
Abb. 1: Funktionale Teams - Vertrauen
Gegenseitiges Vertrauen führt vor allem dazu, dass Menschen sich anderen gegenüber öffnen mit ihren Wünschen, Ärgernissen, Ansichten.
Besteht kein Vertrauen, schrecken Teammitglieder davor zurück, offen und ehrlich zu kommunizieren. In einer solchen Atmosphäre verstecken Teammitglieder ihre wirklichen Gedanken und Gefühle, verschließen sich anderen gegenüber und bemühen sich um Unverwundbarkeit. Es entstehen keine offenen und leidenschaftlichen und damit auch keine wirklich wertvollen Diskussionen - oder gar Konflikt.
Abb. 2: Funktionale Teams - Konflikt
Liegen diese offen auf dem Tisch, wird in einem Team auch deutlich, wo sich seine Mitglieder unterscheiden, was zu Konflikten führen kann und in einem vertrauensvollen Team auch darf. Konflikte werden als Chancen zur Veränderung begrüßt und auf eine Weise ausgetragen, dass jeder die Möglichkeit erhält, seine Meinung zu äußern, ohne befürchten zu müssen, dafür auf Ablehnung und Abwertung zu stoßen.
Fehlt Vertrauen, sind meist auch Konflikte tabu. Sie werden als „gefährlich“ empfunden und werden nach Kräften vermieden. Was die Einzelnen fühlen und denken wird nicht angesprochen, nach außen bemühen sie sich um den Schein der Harmonie, die künstlich ist. Unterschiedliche Meinungen werden nicht als Chance auf gute Lösungen wertgeschätzt. Vielmehr werden sie unterdrückt, Konflikte ungelöst in den „Untergrund“ verdrängt.
Abb. 3: Funktionale Teams - Verbindlichkeit
Nicht immer führen solche Konflikte in funktionalen Teams zu Konsensentscheidungen. Fühlen sich die Teammitglieder jedoch im Vorfeld zur Entscheidung in ihrer Meinung gehört und verstanden und wurde diese ernsthaft berücksichtigt, fühlen sich der Lösung ausreichend verbunden, um sie mitzutragen.
Die versäumte Auseinandersetzung im Team führt dazu, dass es kein belastbares „buy-in“ für eine bestimmte Lösung, für einen bestimmten Weg gibt. Ohne Verbindlichkeit wiederum fühlt sich keiner an diese gebunden. Darüber hinaus führen nach wie vor nebeneinander stehende, verschiedene Lösungen zu verwirrender Mehrdeutigkeit und Unschlüssigkeit. Keiner weiß, was sein genau sein Beitrag ist und macht, was er für richtig hält. Gelegenheiten verstreichen ungenutzt.
Abb. 4: Funktionale Teams - Verantwortlichkeit
Jedes Teammitglied übernimmt Verantwortung für seinen eigenen Beitrag zum Ziel, zur Lösung, im Sinne von „nur gemeinsam sind wir stark“, aber auch dafür, dass auch die anderen Mitglieder willens und in der Lage sind, ihre jeweilige Verantwortung zu übernehmen.
Fehlt die Eindeutigkeit (Ebene Verbindlichkeit), die die Energie der einzelnen Teammitglieder auf ihre Aufgabe fokussiert, ihre Leistung nimmt ab. Ohne Verantwortlichkeit der Einzelnen fehlt wiederum der wohldosierte, positive Gruppendruck, der diese Schieflage oder fehlerhafte Leistungen ansprechen ließe (zudem: Feedback bedarf Vertrauen!) oder auch der gegenseitiger Unterstützung und Ermutigung führen könnte. Es wird egal, was und in welcher Qualität die anderen arbeiten, der Standard sinkt.
Abb. 5: Funktionale Teams - Ergebnis-Orientierung
Psychologisch sichere Teams leisten fortlaufend ausreichend Beziehungsarbeit, um ihre Energie maßgeblich dem Erreichen ihrer Ergebnisse widmen zu können.
Ohne Ergebnis-Orientierung macht jeder das, was seinem persönlichem Ego und Status nutzt. Teammitglieder stärken ihre Interessen oder kämpfen gegen einen Rivalen, aber sie stärken nicht das Team und riskieren so, dass die Teamergebnisse darunter leiden. An dieser Stelle entscheidet sich, ob das Ganze wirklich mehr als die Summe seiner Teile werden kann.
Was Teams für psychologisch Sicherheit tun können
Vertrauen
Mitglieder vertrauensvoller Teams …
- gestehen sich und anderen Schwächen und Fehler ein
- bitten um Hilfe
- akzeptieren Fragen und Input in Bezug auf ihren Verantwortungsbereich
- sind im Zweifel anderen wohlgesonnen bevor sie zu einer negativen Beurteilung gelangen
- gehen das Risiko ein, Feedback zu geben und Hilfe anzubieten
- schätzen und nutzen die Fähigkeiten und den Erfahrungsschatz anderer
- nutzen ihre Zeit und Energie für wichtige Aufgaben, nicht interne Politik (Mikropolitik)
- entschuldigen sich ohne zu zögern und nehmen Entschuldigungen an
- freuen sich auf Meetings und die Gelegenheit, als Gruppe zu arbeiten
Mitglieder von Teams, in denen Vertrauen fehlt…
- vertuschen Schwächen und Fehler voreinander
- zögern, sich Hilfe zu holen oder konstruktives Feedback zu geben
- zögern, Unterstützung außerhalb ihres Verantwortungs-bereichs anzubieten
- ziehen voreilige Schlüsse hinsichtlich der Absichten und Fähigkeiten anderer und verifizieren diese nicht
- erkennen und nutzen die Fähigkeiten und den Erfahrungs-schatz anderer nicht
- vergeuden Zeit und Energie damit, ihr Verhalten auf Effekt zu trimmen
- sind nachtragend
- haben einen Graus vor Meetings und finden Gründe, den anderen aus den Weg zu gehen
Konflikt
Teams, die Konflikte austragen…
- halten lebendige Meetings ab
- achten darauf, dass die Meinungen aller Mitglieder zur Sprache kommen und untersuchen sie auf ihre Tauglichkeit
- lösen reelle Probleme schnell
- minimieren interne Politik
- sprechen kritische Themen offen an
Teams, die Konflikte meiden…
- halten langweilige Meetings ab
- bauen Klima auf, in dem versteckte politische Spielchen und persönliche Angriffe “blühen”
- ignorieren heikle, aber für den Teamerfolg kritische Themen
- klopfen nicht alle Meinungen und Perspektiven im Team ab
- verschwenden Zeit und Energie mit Selbstdarstellungen und persönlicher Absicherung
Verbindlichkeit
Teams, in denen Verbindlichkeit herrscht…
- schaffen Klarheit hinsichtlich Ziele und Prioritäten
- richten gesamtes Team auf diese Ziele und Aufgaben aus
- entwickeln Fähigkeit, von Fehlern zu lernen
- nutzen Chancen noch bevor Konkurrenz dies tut
- agieren ohne zu zögern
- ändern die Richtung ohne zu zögern oder Gewissensbissen
…und solche, in denen das nicht der Fall ist…
- erzeugen Mehrdeutigkeit, durch die Unklarheit hinsichtlich der Ziele und Prioritäten entsteht
- lassen es zu, dass sich aufgrund von übermäßiger und unnötiger Verzögerungen Opportunitätsfenster schließen
- greifen immer wieder auf´s Neue bereits geführte Diskussionen über Entscheidung auf
- ermutigen Teammitglieder zu mutmaßen und sich auf Annahmen zu verlassen
Verantwortlichkeit
Teams, in denen alle Verantwortung übernehmen - auch füreinander…
- stellen sicher, dass auch andere sich dazu verpflichtet fühlen, sich zu verbessern
- identifizieren mögliche Probleme frühzeitig, indem Mitglieder sich ohne zu zögern dazu ansprechen und gegenseitig befragen
- erzeugen gegenseitigen Respekt unter den Mitgliedern, die sich alle den gleichen hohen Standards verpflichtet haben
- vermeiden übermäßige Bürokratie hinsichtlich des Managements der Leistungen und korrigierender Maßnahmen
…und solche, die Verantwortung scheuen…
- fördern gegenseitigen Unmut zwischen Mitgliedern mit unterschiedlichen Leistungsmaßstäben
- ermuntern zu Mittelmäßigkeit
- halten Fristen nicht ein und liefern vereinbarte Ergebnisse nicht
- haben überzogene Erwartungen an den Teamleiter als einzige Quelle für Disziplin
Ergebnis
Teams, deren Mitglieder auf Gruppenergebnisse fokussieren…
- binden ziel- und leistungsorientierte Mitglieder
- minimieren egozentrisches Verhalten
- erleben Erfolge wie Misserfolge intensiv
- profitieren von Einzelnen, die ihre eigenen Ziele/Interessen zum Wohle des Teams diesem unterordnen
- vermeiden Ablenkungen
…und solche ohne Ergebnis-Orientierung…
- stagnieren, wachsen nicht
- setzen sich selten gegen Konkurrenten durch
- verlieren ziel- und leistungsorientierte Mitglieder
- ermuntern Mitglieder dazu, sich rein auf ihr eigenes Fortkommen zu konzentrieren
- Lassen sich leicht von seinen Zielen ablenken
Was Führungskräfte für psychologische Sicherheit tun können
Abb. 6 - Führungskräfte und psychologische Sicherheit
Ich möchte Ihnen zum Abschluss eine Case Study empfehlen, in der ein großes deutsches mittelständisches Unternehmen auf seine Antworten auf die VUCA-Welt untersucht wird - eine hilfreiche Einführung in die agile Zusammenarbeit.