Claudia Weyrauther Dec 24, 2020 12:00:00 AM Lesezeit 4 Minuten

Weihnachts(un)glück, selbst gebacken

#24 Blogbeitrag aus dem Adventskalender 2020

Das Finale

Wie schön, dass Sie heute noch Zeit und Muße finden, unser letztes Türchen zu öffnen! Ich leite davon zwei gute Dinge ab: Sie sind gesund und Sie sind nicht in übermäßigem Stress. Ich hoffe, ich liege richtig? Beides ist an DIESEM 24. des Jahres 2020 nämlich alles andere als selbstverständlich. Zum einen wegen, … naja, dazu muss ich wohl nicht viel sagen. Zum anderen aber auch, weil wir wieder mittendrin sind in dieser Zeit der „großen Erwartungen“, auf die sich viele von uns freuen, vor der sich andere aber wiederum regelrecht fürchten. Tradition, Werbung und wir selbst lassen Weihnachten keine Chance: Es hat friedlich, harmonisch und besinnlich zu sein! Was für ein erdrückender Imperativ, der unsere gute innere Motivation leicht platt walzt und alles andere als förderlich für unsere innere Balance ist, die wir so sehr beschwören. Ein dummer Kreislauf.
Um es deshalb gleich vorweg zu nehmen:

Weihnachten IST nichts von all dem und KANN all das sein!

Zugegeben, Weihnachten und alles, was damit einhergeht, ist eine Tradition, um die wir in unserem Kulturkreis nicht leicht herumkommen, auch wenn es letztlich natürlich möglich ist. Das zeigen die vielen Auslandsreisen um diese Jahreszeit. Aber wäre es nicht schön, Weihnachten zu feiern UND all das Gute, das in diesem Fest potenziell für uns steckt – Gemeinschaft, Nähe, Geborgenheit, freie Zeit – zu erleben, gingen wir nur innerlich gelassener und damit gesünder mit diesem Fest und dieser Zeit um? Wäre es nicht schön, wenn uns genau das nicht nur mit Weihnachten gelänge?

Die Bedeutung liegt selten in der Sache selbst. Wir geben sie ihr.

Ein Beispiel: Eine Mass Bier ist eine Mass Bier. Für eine*n Jogger*in hat sie nach zwei Stunden strengen Lauftrainings durch den Englischen Garten aber eine völlig andere Bedeutung als für den jungen Mann auf dem Oktoberfest, den seine Kumpels gerade zur dritten Mass drängen. Der Durst der einen verzaubert ihr das Bier zu „flüssigem Gold“. Dem jungen Mann dagegen dreht sich beim Gedanken an Bier möglicherweise der Magen um.

Es geht also immer darum, was wir aus einer Sache machen und warum. Vor allem unsere Widerstände, Konflikte und Stressreaktionen – ob im jetzigen Lockdown oder in der alljährlichen Weihnachtszeit – erzählen uns in der Hinsicht viel über uns selbst.

Eine Geschichte – vielleicht finden Sie sich ja darin wieder.

Unschwer zu erraten: Ich lebe in München. Am ersten Samstag, nachdem in Bayern landesweit der Katastrophenfall ausgerufen und die erste volle Ausgangssperre verhängt wurde, rief mich eine Freundin – nennen wir sie Sabine – ziemlich aufgebracht an. Ihr Mann – nennen wir ihn Jonas – sei doch tatsächlich zum Spitzingsee rausgefahren: „Bockig wie ein kleines Kind!“ Für sie ein absolutes No-Go, fand sie die Beschränkung doch einleuchtend genug, um ihr nachzukommen. Wie konnte er etwas anderes überhaupt in Erwägung ziehen? Und überhaupt: Sie konnten es sich doch jetzt als Familie gemütlich machen! Jonas, berichtete sie, leuchte die Regelung wohl auch ein, und trotzdem: Die Vorstellung, eingesperrt, seiner Freiheit beraubt zu sein und daheim herumhocken zu müssen, hielte er nicht aus! Naja, und jetzt sei er halt gefahren.

Gemütlich versus eingesperrt, Sicherheit und Nähe versus Freiheit und Distanz: Zwei Menschen mit ähnlichen Meinungen in der Sache und doch völlig anderem Umgang mit ihr. Vielleicht sagen Sie als Leser nun: „Nun gut, Menschen sind eben unterschiedlich.“ Und das stimmt. Und dennoch zeigt das Beispiel: Es liegt nicht an der Sache selbst, dass sich aus ihr zwingend bestimmte Gefühle oder Verhaltensweisen ergeben müssen. Warum also hielt meine Freundin aus, was ihr Mann als eine schier unerträgliche Freiheitsberaubung empfand? Eine zentrale Frage, der sich Sabine und Jonas seitdem widmen, denn ich darf Ihnen noch etwas verraten: Der starke Unterschied in den Reaktionen der beiden zeigt sich auch in anderen Situationen, wie sie nach diesem Samstag in diversen Streitereien und Gesprächen erstaunt und schmerzlich herausfanden, und macht ihnen nicht nur als Paar sondern auch als Individuen nicht selten das Leben schwer.

Die inneren Steuerungsprozesse, die wir nutzen, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen, sind weniger angeboren als erlernt: Wir lernen im Miteinander mit anderen Menschen von klein auf, welche unserer Bedürfnisse wir spüren dürfen und welche eher nicht UND auf welche Weise wir sie am ehesten befriedigt bekommen. Haben Sie eine Vorstellung davon, welches Bedürfnis Jonas eher weniger spürt und welches mehr und wie er dieses typischerweise befriedigt? Und wie es ihm möglicherweise mit dem „Drei-Tage-Familienidylle“-Szenario an Weihnachten geht? Wie sieht es wiederum bei Sabine aus?

Worin liegt die innere Freiheit?

Innerlich gut aufgestellt sind wir dauerhaft dann, wenn wir auf der einen Seite alle unsere grundlegenden Bedürfnisse – in meinem Beispiel Sicherheit und Freiheit – gleichermaßen und ausreichend gut wahrnehmen und befriedigen. Und es auf der anderen Seite genau deshalb gut aushalten, sie nicht immer befriedigt zu bekommen! Denn es ist genau diese Mischung aus seelischem Genährtsein auf der einen Seite und Frustrationstoleranz auf der anderen, die es uns möglich macht,

einen Lockdown, ein Weihnachtsfest oder überhaupt eine Erfahrung im Leben weder zwingend als „wunderbar“ noch als Krise zu empfinden.

Genau hierin liegt wirkliche innere Freiheit und unser seelisches Wohlbefinden. Die wünsche ich Ihnen heute deshalb mehr als alles andere. Wenn Sie die Weihnachtszeit dafür nutzen möchten, noch mehr darüber zu erfahren, wie Ihnen das gelingt, lege ich Ihnen den Artikel "Wie bleibt man mit Ausgangsbeschänkungen frei" von Klaus Eidenschink ans Herz:.